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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind
Autoren: Patrycja Spychalski
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sagen?
    Ich tue es nicht. Stattdessen gehe ich zurück in die Küche und setzte mich wieder an den Tisch. »Ich glaube, er will alleine sein.«
    »Kann schon sein.«
    »Genau weiß ich es nicht.«
    »Mach dir nichts draus. Small Talk ist jetzt eh nicht angebracht.« Martin fängt an, das Geschirr zu spülen.
    Ich luge vorsichtig durch den Türspalt, aber Heinrich sitzt weiter wie angewurzelt da. Ich stelle mich zu Martin. »Er ist so alt. Ich habe plötzlich Angst, dass uns alle hier vor unseren Augen wegsterben.«
    Martin kann ein leises Lachen nicht unterdrücken. »Entschuldige. Aber das wird nicht passieren.«
    Ich schnappe mir ein Tuch aus der Schublade und helfe Martin mit dem Abwasch. Wie ein eingespieltes Ehepaar schmeißen wir hier plötzlich den Haushalt. Wenn der Anlass dafür nicht so traurig wäre, könnte das sogar schön sein. Wir wischen den Tisch ab, Martin nass, ich trocken, wir wischen den Staub von den Regalen und drehen die Gewürzbehälter mit der Schrift nach vorne.
    Als nach einer halben Stunde immer noch nichts von Heinrich zu hören ist, halte ich es nicht mehr länger aus und trete wieder ins Wohnzimmer. Doch bevor ich etwas sagen kann, steht Heinrich erstaunlich kraftvoll vom Sofa auf. »Wir müssen die ganzen Unterlagen finden. Testament. Versicherungspolicen. Sonstige Verfügungen.« Und er fängt an, die Schubladen aufzuziehen.
    Ich frage nicht weiter nach, obwohl mich sein plötzlicher Elan irritiert, sondern helfe ihm einfach dabei. Auch ich schaue überall rein, blättere in Ordnern, sehe zwischen den Büchern nach. Einen kurzen Moment kommt es mir komisch vor, hier zu sein mit einem völlig fremden Mann, aber andererseits … der Pfarrer hat ihn geschickt. Das muss in Ordnung sein.
    Heinrich redet immer noch nicht. Jedenfalls nicht viel. Wahrscheinlich macht ihm die Trauer um Irmi zu schaffen.
    Ich wüsste gerne, wer er eigentlich ist. Kam er in Irmis Erzählungen vor? War er vielleicht ein Junge vom Ball oder eine von den zahlreichen Sommerlieben? Hat er vielleicht an ihrem Strickkurs teilgenommen oder ist er irgendwie mit ihr verwandt? Ich traue mich nicht zu fragen.
    Er schnauft, während er sich zur untersten Schublade runterbeugt, und als ich zu ihm rüberschiele, sehe ich, dass ihm Schweiß die Stirn runterläuft.
    Ich werde auch mal so alt, schießt es mir durch den Kopf. Und dieser Gedanke ist so ungeheuerlich, dass ich ihn schnell wieder beiseite schiebe.
    »Da ist es«, ächzt Heinrich und hält ein paar Zettel in die Höhe. Er packt eine Tüte aus seiner Hosentasche, faltet sie auseinander, legt die Papiere hinein und streicht die Tüte glatt.
    »Übermorgen werden Leute vom Roten Kreuz kommen, um ihre Sachen zu holen. Sie hätte das so gewollt. Und ich sage euch wegen der Beerdigung Bescheid.« Heinrich nimmt noch einen Schluck aus dem Wasserglas und steuert dann Richtung Tür.
    »Auf Wiedersehen!«, rufe ich ihm noch verdattert hinterher, erhalte aber keine Antwort mehr.
    Martin steht in der Küchentür und zuckt mit den Schultern, als ich ihn fragend ansehe.
    »Ich werde jetzt arbeiten gehen. Kommst du soweit klar?«, fragt er.
    Arbeiten. Stimmt. Da war doch noch was. Ich müsste eigentlich auch. Aber geht das? Irmi ist gestorben, da kann man nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen. Andererseits wird mir hier im Haus die Decke auf den Kopf fallen. Was soll ich hier bloß alleine machen?
    Ich könnte die Sachen für das Rote Kreuz vorbereiten. Aber danach?
    »Sag Max bitte, dass ich morgen komme. Schaust du heute Abend wieder vorbei?« Ich versuche, tapfer zu wirken. Martin hat sich genug um mich gekümmert. Den Rest muss ich alleine schaffen.
    »Sobald ich Feierabend habe, komme ich wieder. Wir können dann zusammen bei Dario vorbeigehen und es den anderen sagen. Die fragen sich bestimmt schon, wo wir stecken.«
    Ich lege mich auf den Teppich und lausche. Nichts. Nur ein Surren, das von draußen durchs Fenster dringt. Ein Mischmasch aus Stimmen und Hundegebell. Ich rolle mich auf die Seite, schiebe meinen Arm unter den Kopf und schließe die Augen.
    Und in das Himmelreich sollen Engel dich geleiten.
    Eigentlich schön. Die Vorstellung. Ich weiß gar nicht, ob ich an Gott glaube, oder an Engel – das muss ich eines Tages noch herausfinden. Aber Irmi … Irmi war selbst ein Engel. Hat mir das Marmeladekochen beigebracht. Hat mir ihre warme Hand auf den Rücken gelegt und mich zu meinen Kopfschmerzen befragt. Sie hat sich gekümmert, obwohl ich ihr doch
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