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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum
Autoren: H Coben
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Scott Duncan saß dem Killer Auge in Auge gegenüber.
    In dem fensterlosen, gewitterwolkengrauen Raum lastete verlegene Stille, jenes gespannte Verharren unter Fremden, wenn keiner weiß, wie die Musik spielen wird und welcher Tanz beginnt. Scott eröffnete versuchsweise mit einem neutralen Nicken. Der Killer, ziemlich auffällig in orangeroter Anstaltskleidung, fixierte ihn ausdruckslos. Scott verschränkte die Hände und legte sie auf den Metalltisch. Der Killer – die Polizeiakte wies ihn als Monte Scanlon aus, wobei man sicher ausschließen konnte, dass dies sein richtiger Name war – hätte es ihm ohne Fußketten und Handschellen möglicherweise gleichgetan.
    Warum, fragte sich Scott zum wiederholten Mal, bin ich eigentlich hier?
    Als Staatsanwalt war er ausschließlich für Korruption in der Politik zuständig gewesen – eine florierende Schattenwirtschaft in seinem Heimatstaat New Jersey –, bis dann vor drei Stunden dieser Monte Scanlon, ein Henkersknecht wie kaum ein zweiter, unverhofft sein langes Schweigen gebrochen und als Erstes eine Bedingung gestellt hatte.
    In der Tat: eine Bedingung.
    Ein Vier-Augen-Gespräch mit dem stellvertretenden Staatsanwalt Scott Duncan.
    Aus einer ganzen Reihe von Gründen ein ungewöhnlicher Vorgang. Erstens war ein Killer kaum in der Position, Bedingungen zu stellen. Zweitens war Scott ihm nie zuvor begegnet, noch hatte er von Monte Scanlon auch nur gehört.

    Scott beendete das Schweigen. »Sie wollten mit mir reden?«
    »Richtig.«
    Scott nickte und wartete auf mehr. Es kam nichts. »Und? Was kann ich für Sie tun?«
    Monte Scanlon starrte ihn weiter unverwandt an. »Wissen Sie, weshalb ich hier bin?«
    Scott sah sich im Raum um. Abgesehen von Scanlon und seiner Person waren vier Leute anwesend. Linda Morgan, die Bundesstaatsanwältin, lehnte betont lässig an der Wand. Hinter dem Häftling standen zwei Muskelprotze, geklonte Schränke in Wärteruniform. Scott kannte die aufgeblasenen Typen, hatte die heitere Abgeklärtheit erlebt, mit der sie ihren Job erledigten. Heute allerdings, angesichts dieses mit Fußeisen und Handfesseln ruhig gestellten Häftlings, waren sogar sie nervös. Scanlons Anwalt, vom Typ »Wiesel«, der den Geruch billigen Eau de Colognes verströmte, vervollständigte den flotten Vierer. Alle Blicke ruhten auf Scott.
    »Sie haben Leute umgebracht«, antwortete Scott. »Und zwar ’ne ganze Menge.«
    »Ich war, was man landläufig einen Auftragskiller nennt. Ich war« – Scanlon legte eine Kunstpause ein – »ein Mörder, den man mieten konnte.«
    »In Fällen, mit denen ich nichts zu tun hatte.«
    »Richtig.«
    Scotts Vormittag hatte noch leidlich normal begonnen. Er hatte eine Zeugenvorladung für einen Müllabfuhr-Unternehmer aufgesetzt, der den Bürgermeister einer Kleinstadt schmierte. Reine Routinesache. Ein alltäglicher Vorgang im Gartenstaat New Jersey. Das war – wie lange her? Eine? Eineinhalb Stunden? Jetzt saß er an einem im Fußboden fest verankerten Tisch einem Mann gegenüber, der – nach Linda Morgans grober Schätzung – etwa einhundert Mitbürger kaltblütig ins Jenseits befördert hatte.

    »Warum also ich?«
    Scanlon wirkte wie ein alternder Playboy, jener Männertyp, der in den Fünfzigern problemlos als Galan von einer der Gabor-Schwestern durchgegangen wäre. Er war hager, fast schon ausgezehrt. Das ergraute Haar trug er glatt zurückgekämmt, die Zähne waren nikotingelb, die Haut ledern von zu viel Sonne und allzu langen Nächten in allzu vielen zwielichtigen Etablissements. Niemand im Raum kannte seine wahre Identität. Bei seiner Verhaftung trug er einen argentinischen Pass bei sich, der auf den Namen Monte Scanlon – Alter 51, ausgestellt war. Das Einzige, was daran stimmte, war vermutlich das Alter. Seine Fingerabdrücke waren in der Datenbank des National Crime Information Centers nicht erfasst. Bei der biometrischen Gesichtserkennung hatte der Computer eine dicke, fette Null ausgespuckt.
    »Wir sollten uns allein unterhalten.«
    »Sie gehören gar nicht in meinen Zuständigkeitsbereich«, beharrte Scott. »Das ist Sache der Frau Bundesstaatsanwältin.«
    »Hier geht es um eine Sache, die sie nicht tangiert.«
    »Aber mich? Inwiefern?«
    Scanlon beugte sich vor. »Was ich Ihnen zu sagen habe, stellt Ihr Leben auf den Kopf.«
    Scott versuchte, weder Spott noch Skepsis zu zeigen. Die Denkweise von Kriminellen hinter Gittern war ihm nur allzu vertraut – ihre trickreichen Manöver, ihr Verlangen nach
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