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Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod
Autoren: Linwood Barclay
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ihn auf den Friedhof zu fahren, damit er Dad endlich die letzte Ehre erweisen konnte.
    Ich hatte ihm erzählt, was sich in Peytons Büro zugetragen hatte. Und dass mir einiges klargeworden war. Dass Peyton sich an ihm vergangen hatte, als er noch über einem Laden in der Saratoga Street wohnte. Dass Dad, als er die Fotos auf Peytons Handy sah, erkannt hatte, dass Thomas die Wahrheit gesagt hatte. Im Rahmen der Ermittlungen rund um Peytons Selbstmord hatte die Polizei alle seine Computer beschlagnahmt und haufenweise Fotos gefunden, bei denen sich einem schon der Magen umdrehte, wenn man nur daran dachte, dass es sie gab.
    Ich erzählte Thomas nicht, dass ich glaubte, Harry Peyton sei am Tod unseres Vaters schuld. Es klang zwar plausibel, war aber letzten Endes nur eine Vermutung meinerseits. Ich konnte mir vorstellen, dass Harry zu meinem Vater gegangen war und versucht hatte, ihn davon abzubringen, die Sache mit Thomas und den Fotos weiterzuverfolgen. Dass sie in Streit geraten waren. Dass der Traktor umgekippt war.
    Ich hatte mich entschlossen, Thomas nichts davon zu sagen, weil ich das Gefühl hatte, er habe auch so schon genug durchgemacht. Außerdem würde es keine Anklage gegen Harry geben, nichts würde also je vor ein Gericht kommen. Nichts würde je endgültig geklärt werden.
    »Sie haben ein gemeinsames Grab, oder?«, fragte Thomas, als ich anhielt. »Mom und Dad?«
    »Ja.«
    »Wusstest du, dass man diesen Friedhof auch auf dem Computer sehen kann? Es gibt eine wirklich gute Satellitenaufnahme davon. Ich hab sie mir schon oft angesehen. Ich weiß genau, wo ich hinmuss.«
    Erwartungsvoll sprang er aus dem Wagen und ging mit großen Schritten über den Rasen. Ich folgte ihm.
    Als er sich dem Grabstein näherte, verlangsamten sich seine Schritte. In respektvoller Entfernung von etwa zwei Metern blieb er stehen und beugte ganz leicht den Kopf, die Hände hielt er gefaltet vor sich.
    Ich holte ihn ein und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Hi, Dad«, sagte er. »Ich wäre schon zur Beerdigung gekommen, aber ich wollte Mr. Peyton nicht begegnen. Aber ich habe mir gedacht, jetzt sollte ich dich doch endlich besuchen. Mr. Peyton ist jetzt tot, und ich finde das gut, obwohl man so was wahrscheinlich nicht sagen darf.«
    Ich drückte seine Schulter.
    »Auf jeden Fall vermisse ich dich. Ray bringt mir einiges bei. Ich mache Essen und lerne, ein bisschen selbständiger zu sein, und das finde ich auch gut, denn ich ziehe in dieses Haus, wo man mithelfen muss.«
    Er schwieg, sah aber nicht so aus, als würde er weggehen wollen. Ich hatte das Gefühl, er wolle unserem Vater noch etwas sagen. Ich drückte noch einmal seine Schulter.
    »Was ich noch sagen wollte: Es tut mir leid. Nicht nur, dass ich nicht zur Beerdigung gekommen bin und nicht im Haus mitgeholfen habe.« Er schluckte. »Ich wollte sagen, es tut mir leid, dass ich dich geschubst habe, auf der Treppe.« Er hielt inne. Dann fügte er hinzu: »Und auf dem Hang.«
    Meine Hand erstarrte.
    »Es tut mir leid, dass ich mich so aufgeregt habe, weil ich vielleicht der Polizei das von Mr. Peyton erzählen sollte. Ich musste einfach rauskommen und mit dir darüber reden. Ich wollte dich nicht stoßen. Und es tut mir wirklich leid, dass ich nicht gleich Hilfe geholt habe.« Nach einer weiteren Pause fügte er hinzu: »Ich hatte solche Angst.«
    Ich nahm meine Hand von Thomas’ Schulter.
    »So, ich glaube, das war alles«, sagte er zu unserem Vater. »Ich komm dich bald wieder besuchen.«
    Dann drehte er sich um und sagte zu mir: »Können wir jetzt zu meiner neuen Wohnung fahren? Ich würde mir gerne ansehen, wo ich mein ganzes Zeug unterbringen kann.«
    Er ging an mir vorbei zum Wagen zurück. Ich stand da wie betäubt und blickte ihm nach.

Über Linwood Barclay
    Linwood Barclay, geboren 1955, stammt aus den USA, lebt aber seit seiner Kindheit in Kanada. Er studierte Englische Literatur an der Trent University in Peterborough, Ontario, und arbeitete bis 2008 als Journalist. Im »Toronto Star«, Kanadas größter Tageszeitung, hatte er eine beliebte Kolumne. Sein erster Thriller, Ohne ein Wort (2007), war auf Anhieb ein internationaler Bestseller. Er hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau in der Nähe von Toronto.

Über dieses Buch
    Bei einem seiner virtuellen Spaziergänge durch Manhattan zuckt Thomas vor seinem PC zusammen: Im Fenster eines Hauses ist eine menschliche Gestalt zu erkennen, über deren Kopf eine Plastiktüte zusammengezogen wird.
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