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Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod
Autoren: Linwood Barclay
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ich, beugte mich noch weiter vor und küsste sie.
    Ich sah ihr nach, dann ging ich ins Haus. Ich wollte eigentlich gleich hinauf zu Thomas gehen, doch dann sah ich das Lämpchen am Telefon in der Küche blinken und beschloss, davor noch schnell die Nachrichten abzuhören.
    Es gab fünf.
    »Hey, Ray. Hier ist Alice. Harry hat noch ein paar Sachen für Sie zum Unterschreiben. Melden Sie sich bitte.«
    Piep. Ich drückte auf die 7, um die Nachricht zu löschen.
    »Ray? Hey, hier ist Harry. Alice hat dir gestern aufs Band gesprochen. Ruf mich zurück.«
    Piep. Wieder drückte ich auf die 7.
    »Ray, Menschenskind, Harry hier. Ich hab die Nachrichten gesehen. Ich hoffe, euch geht’s gut. Hör mal, ruf mich zurück, wenn ihr wieder da seid.«
    Piep. Wieder die 7.
    »Hi, ich hätte gerne mit Thomas oder Ray Kilbride gesprochen. Mein Name ist Tricia, und ich bin Produzentin von Today, und wir würden sehr gerne mit Ihnen reden. Es ist sehr wichtig, dass –«
    Diesmal wartete ich nicht bis zum Piep. Drückte die 7.
    »Hallo, hier ist Angus Fried von der New York Times. Ich –«
    7.
    Ich war völlig ausgedörrt. Ich ließ das Wasser laufen, bis es ganz kalt war, dann füllte ich ein Glas und trank es in einem Zug aus.
    Es war Zeit.
    Ich hatte keine Ahnung, was ich erfahren würde, wenn ich mir ansah, wer Thomas unter seiner eigenen Nummer angerufen hatte. Vielleicht nichts. Vielleicht war die Nummer des Anrufers unterdrückt, und seine Identität würde für immer ein Geheimnis bleiben.
    Ich stellte das leere Glas in die Spüle und ging zur Treppe.
    Es klopfte.
    Ein übergewichtiger Mann mittleren Alters stand vor der Tür und hielt mir seinen Ausweis hin. Er trug einen zerknitterten Anzug, sein Hemdkragen stand offen, die Krawatte hatte er gelockert.
    »Mr. Kilbride?«, sagte er. »Unser Mann unten an der Einfahrt hat mir gesagt, dass Sie wieder da sind. Wie ich höre, haben Sie ein paar ziemlich turbulente Tage hinter sich. Wir beide hatten leider keine Gelegenheit, unser Telefongespräch zu Ende zu führen. Ich bin Barry Duckworth von der Polizei in Promise Falls. Sie haben ganz schön was mitgemacht. Ich habe alles darüber gehört. Aber warum ich hier bin: Ich würde gern noch mal mit Ihnen über Ihren Vater sprechen.«

Zweiundsiebzig
    K ommen Sie herein«, sagte ich.
    Detective Duckworth und ich setzten uns ins Wohnzimmer. »Ich kann mir vorstellen, dass Sie das erst verdauen müssen, was Sie in den letzten Tagen erlebt haben. Wie geht es Ihnen denn?«
    »Geht schon. Es war … grauenhaft.«
    »Ja, das ist wohl ein passendes Wort. Ich würde gern unser unterbrochenes Gespräch fortsetzen. Glauben Sie, Sie sind schon so weit?«
    »Sicher«, sagte ich. »Mir kommt es vor, als liege das eine Ewigkeit zurück.« Ich rieb mir die Stirn. »Sie hatten mit meinem Vater gesprochen?«
    »Genau.«
    »Er hat sich an Sie gewandt?«
    »Ja.«
    »Was hat er gesagt?«
    Duckworth setzte sich bequem hin und plazierte die Arme auf den Armlehnen. »Ihr Vater wollte über etwas mit mir sprechen, das Ihrem Bruder Thomas zugestoßen ist, als er noch ein Teenager war. Jahrelang hat er nicht geglaubt, dass das wirklich passiert ist, er hat Ihrem Bruder nicht geglaubt. Weil er, na ja, wie soll ich sagen …?«
    »Mein Bruder ist nicht gerade das, was man einen glaubwürdigen Zeugen nennen würde.«
    »Sie sagen es.«
    »Weil er Stimmen hört, wo nichts zu hören ist, Verschwörungen sieht, wo nichts zu sehen.« Ich zögerte. Dann fügte ich hinzu: »Meistens jedenfalls.«
    »Deshalb sträubte sich alles in Ihrem Vater, Ihren Bruder ernst zu nehmen, als der vor vielen Jahren zu ihm kam und von einem Übergriff erzählte. Ja, er weigerte sich rundweg, ihm zu glauben, weil Thomas einen Freund ihres Vaters bezichtigte. Er warf Ihrem Bruder vor, sich das alles ausgedacht zu haben, und verbot ihm, das Thema jemals wieder anzuschneiden oder mit irgendwem darüber zu reden.«
    »Ein Übergriff«, wiederholte ich. »Thomas hatte gerade angefangen, mir davon zu erzählen, bevor wir entführt wurden.«
    »Ein sexueller Übergriff«, sagte Duckworth. »Zumindest ein versuchter. Eine versuchte Vergewaltigung.«
    Ich spürte, wie Wut in mir hochkochte. »Wer war es? Was hat Thomas meinem Vater gesagt?«
    Duckworth hob eine Hand. »Dazu komme ich noch. Ihr Vater hat mit dem Mann, diesem Freund gesprochen, und der war wie vor den Kopf geschlagen, entsetzt über die Anschuldigung. Er hat sie rundweg abgestritten, und Ihr Vater hat ihm geglaubt. Weil er
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