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Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod
Autoren: Linwood Barclay
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Straße schoss, nicht fragen, wie die Yankees sich ihrer Meinung nach dieses Jahr schlagen würden. Baseball interessierte ihn nicht, und er sah sich auch keine Spiele an. Und warum eine Gruppe von Menschen, denen Reiseführer aus den Jackentaschen lugten, einer Frau in ihrer Mitte lauschte, war ihm auch keine Frage wert. Wahrscheinlich war sie eine Fremdenführerin.
    Als er zur Broome Street kam, fiel ihm an der Südostecke ein einladend aussehendes Restaurant mit kleinen weißen Tischen und gelben Plastikstühlen ins Auge. Aber niemand saß draußen. Auf einem Schild im Schaufenster stand: »Reinkommen und aufwärmen«. Er ging näher und spähte hinein. Hier saßen Leute, tranken Kaffee, arbeiteten an Laptops, lasen Zeitung.
    In der Fensterscheibe spiegelte sich der Wagen wider. Ein unauffälliger Kleinwagen. Vielleicht ein Civic. Mit dieser Apparatur auf dem Dach. Den hatte er auf seinen Wanderungen immer wieder gesehen. So oft schon, dass er beinahe hätte glauben können, der Wagen verfolge ihn. Er verscheuchte diesen Gedanken und blickte durch das Glas hindurch in das Restaurant hinein.
    Am liebsten wäre er hineingegangen und hätte sich einen Latte macchiato oder einen Cappuccino bestellt. Er konnte den Kaffee beinahe riechen. Aber er musste weiter. Er musste sich noch so viel auf der Welt ansehen, und die Zeit war so knapp. Morgen wollte er nach Montreal und, je nachdem, wie er dort vorankam, am Tag darauf nach Madrid.
    Doch dieser Ort würde ihm im Gedächtnis bleiben. Das Schild im Fenster, die Tische und Stühle vor dem Lokal. Die anderen Läden in der Orchard Street. Die schmalen Passagen zwischen den Gebäuden. Und alles, was er auf der Spring und der Mulberry Street gesehen hatte. Auf der Grand und der Crosby. Der Prince und der Elizabeth, der Kenmare und der Delancey.
    An alles würde er sich erinnern.
    Er hatte ungefähr ein Drittel der Strecke zwischen der Broome Street und der nächsten Querstraße zurückgelegt, als er nach oben sah.
    Und da kam der eigentliche Zufall ins Spiel. Dass er in die Orchard Street gelangt war, war nicht weiter bemerkenswert. Aber dass er nach oben sah. Das tat er nicht immer. Er prägte sich die Läden ein, las die Schilder in den Schaufenstern, betrachtete die Menschen in den Cafés, merkte sich die Hausnummern, aber nur selten hob er den Blick und sah über das Erdgeschoss oder den ersten Stock hinaus. Manchmal dachte er einfach nicht daran, manchmal hatte er keine Zeit dazu. Er hätte ohne weiteres diese Straße entlanggehen und nicht zu diesem speziellen Fenster in diesem speziellen Mietshaus hochsehen können.
    Dann dachte er wieder, dass von Zufall gar keine Rede sein konnte. Vielleicht sollte er dieses Fenster sehen. Vielleicht war es eine Probe der besonderen Art, auf die er da gestellt wurde. Um zu beweisen, dass er bereit war. Er selbst war sich sicher, aber die, die sich seine Talente zunutze machen würden – die mussten noch überzeugt werden, ehe sie seine Dienste in Anspruch nahmen.
    Es war ein Fenster im zweiten Stock. Im Erdgeschoss des Hauses gab es einen Tabak- und Zeitschriftenladen – im Schaufenster spiegelte sich schon wieder dieser Wagen – und noch ein zweites Geschäft, einen Laden für Damenschals. Das Fenster war horizontal in zwei Scheiben geteilt, mit einem vorgebauten Klimagerät, das die Hälfte der unteren Scheibe verdeckte. Etwas Weißes oberhalb der Klimaanlage hatte seine Aufmerksamkeit erregt.
    Auf den ersten Blick sah es aus wie einer dieser Styroporköpfe, die in Kaufhäusern und Friseursalons zur Präsentation von Perücken benutzt wurden. Irgendwie komisch, so ein Ding ans Fenster zu stellen, dachte er. Ein kahler, gesichtsloser, weißer Kopf, der die Orchard Street beobachtete. Aber wahrscheinlich gab es nichts, was man an Fenstern in New York nicht finden konnte. Wäre es seiner gewesen, hätte er dem Kopf wenigstens eine Sonnenbrille aufgesetzt, um ihm ein Minimum an Persönlichkeit zu verleihen. Ein bisschen was Extravagantes. Obwohl extravagant zugegebenermaßen nicht unbedingt das Wort war, das Menschen als Erstes zu ihm einfiel.
    Doch je länger er den Kopf betrachtete, desto größer wurden seine Zweifel, dass er aus Styropor war. Dazu war die Oberfläche nicht matt genug. Ja, zu glatt und glänzend war sie. Plastik vielleicht, wie die Tüten, die man in Supermärkten bekam, oder in Reinigungen, aber nicht die ganz durchsichtigen.
    Das wollte er sich genauer ansehen.
    Dieses weiße, beinahe runde Ding am Fenster
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