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Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod
Autoren: Linwood Barclay
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Zwischenfall kam.
    Zweitens hatte mein Vater es auch von hier nicht allzu weit zur Arbeit. Allerdings fuhr er nicht durch die Innenstadt von Promise Falls und auf der anderen Seite wieder heraus, sondern er nahm die Umgehungsstraße, die Ende der siebziger Jahre gebaut worden war. Dad arbeitete gern bei P&L. Er wollte sich nichts anderes suchen, nur weil er dann einen kürzeren Anfahrtsweg gehabt hätte.
    Drittens war das Haus mit seinen Gauben und seiner rundumlaufenden Veranda einfach entzückend. Mom hatte immer gern da gesessen, und drei Viertel des Jahres war das auch möglich. Zum Haus gehörte eine Scheune, die Dad eigentlich gar nicht brauchte. Er hatte dort nur sein Werkzeug und den Rasentraktor stehen. Aber beide liebten den Anblick dieses Gebäudes, auch wenn dort im Sommer kein Heu eingelagert wurde.
    Das dazugehörige Grundstück war riesig, aber meine Eltern hielten nur ein knappes Hektar in Schuss. Hinter dem Haus gab es einen Garten, der sich ungefähr fünfzig Meter über ebenes Gelände erstreckte. Danach fiel er zu einem Bach hin ab und war nicht mehr einzusehen. Der Bach schlängelte sich bis zum Fluss, der wiederum mitten durch Promise Falls floss und schließlich den Wasserfall bildete, welcher der Stadt ihren Namen gab.
    Seit meiner Rückkehr war ich erst einmal unten am Bach gewesen. Ich hatte dort zwar noch etwas zu erledigen, aber darauf musste ich mich erst noch seelisch vorbereiten.
    Ein Teil des ebenen, baumlosen Geländes jenseits der Fläche, die Dad pflegte, war als Farmland an Nachbarn verpachtet. Das hatte meinen Eltern jahrelang ein – wenn auch nur symbolisches – Nebeneinkommen beschert. Die nächstgelegenen Wälder befanden sich jenseits der Schnellstraße. Wenn man von der Hauptstraße ab- und die Zufahrt hochfuhr, saßen das Haus und die Scheune am Horizont wie zwei Kisten auf einem Podest. Mom hatte immer gesagt, sie liebe diese lange Auffahrt, weil sie ihr genügend Zeit ließ, sich auf alles gefasst zu machen, wenn Besuch kam, was – wie sie selbst sofort zugegeben hätte – nicht oft geschah.
    »Die Leute kommen nur selten mit guten Nachrichten zu einem«, hatte sie mehr als einmal gesagt. Und sie sprach aus Erfahrung. Am nachhaltigsten war ihr der Besuch der Regierungsangestellten in Erinnerung, die, als sie ein junges Mädchen war, gekommen waren, um ihrer Mutter mitzuteilen, dass ihr Mann nicht aus Korea zurückkehren werde.
    Ich fuhr mit meinem Audi Q5 dicht an die Verandastufen heran und parkte ihn neben dem zehn Jahre alten Chrysler meines Vaters. Er hielt nicht viel von meinem deutschen Gefährt. Er hatte seine Zweifel, dass es richtig war, die Wirtschaft von Staaten zu fördern, gegen die wir einst Krieg geführt hatten. »Und wenn sie eines Tages Autos aus Nordvietnam importieren«, hatte er vor ein paar Monaten zu mir gesagt, »dann kaufst dir wahrscheinlich auch so eins.« Da ihn das derart bekümmerte, bot ich ihm an, seinen geliebten Sony-Fernseher zurückzubringen, dessen Bildschirm so groß war, dass er bei den Play-off-Spielen des Stanley Cup sogar den Puck sehen konnte.
    »Immerhin kommt er aus Japan«, hatte ich gesagt.
    »Rühr das Ding ja nicht an, sonst reiß ich dir den Kopf ab«, hatte er erwidert.
    Zwei Stufen auf einmal nehmend, stieg ich die Verandatreppe hoch, sperrte die Haustür auf und ging in die Küche. Ich hatte immer meinen eigenen Schlüssel gehabt, musste mir also nicht erst den von Dads Schlüsselbund abmachen. Die Wanduhr zeigte fast halb fünf. Zeit, sich langsam über das Abendessen Gedanken zu machen.
    Ich inspizierte den Kühlschrank, um zu sehen, was vom allerletzten Einkauf meines Vaters noch übrig war. Er war zwar kein großer Koch gewesen, die Grundbegriffe der Essenszubereitung hatte er jedoch beherrscht. Er konnte Wasser für Nudeln zum Sieden bringen und ein Hähnchen im Ofen braten. Für die Tage, an denen er sich zu so etwas Raffiniertem nicht aufschwingen konnte, hatte er die Tiefkühltruhe bis oben hin mit Hamburgern, Fischstäbchen, Pommes und Fertiggerichten vollgestopft. Er hätte problemlos seinen eigenen Tiefkühlvertrieb aufziehen können.
    Für heute würde noch reichen, was der Kühlschrank hergab, aber morgen würde ich um eine Einkaufsfahrt nicht herumkommen. Um die Wahrheit zu sagen, auch an mir war kein Koch verlorengegangen, und daheim in Burlington gab es viele Abende, an denen eine Schüssel Cheerios das Aufwendigste war, zu dem ich mich aufraffen konnte. Ich glaube, wenn man allein lebt, ist es
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