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Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod
Autoren: Linwood Barclay
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waren Anmerkungen hingekritzelt. Quer über eine Portugalkarte war, ohne ersichtlichen Grund, »380 Kilometer« geschrieben. Breiten- und Längengrade waren wahllos den ganzen Flur entlang an die Wände geschmiert worden. Manche Orte waren mit Fotos geschmückt. Der Ausdruck eines Fotos der Oper von Sydney war mit einem kleinen Stück grünem Malerkrepp auf eine Australienkarte, ein ausgefranstes Foto des Tadsch Mahal mit einem Klumpen Kaugummi auf eine Indienkarte geklebt.
    Wie war es meinem Vater gelungen, sich mit diesem Zustand abzufinden, als meine Mutter nicht mehr lebte? Sie war immer ein Puffer gewesen, hatte ihren Mann aus dem Haus geschickt, in eine Sportbar, damit er sich dort mit Lenny Prentice oder sonst jemandem von der Arbeit ein Spiel ansah. Oder mit Harry Peyton. Wie hat er es angestellt, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat diesen Flur entlangzugehen und so zu tun, als wäre an den Wänden nichts als das zarte Gelb, in dem er sie vor langer, langer Zeit mit seiner Frau gestrichen hatte?
    Ich ging zur Tür des ersten Schlafzimmers, die wie üblich geschlossen war. Schon hatte ich die Hand zum Anklopfen erhoben. Doch ehe meine Knöchel das Holz berührten, ließ mich etwas aufhorchen.
    Auf der anderen Seite der Tür hörte ich jemanden reden. Es klang wie ein Gespräch. Allerdings hörte ich nur eine Stimme, und was gesprochen wurde, konnte ich nicht verstehen.
    Ich klopfte.
    »Ja?«, sagte Thomas.
    Ich öffnete die Tür. Vielleicht war er ja am Telefon. Aber er hatte keinen Hörer in der Hand. Ich sagte ihm, es sei Zeit fürs Abendessen, und er erwiderte, er käme gleich runter.

Drei
    D as ist aber nett, dass Sie sich melden.«
    »Danke, dass Sie meinen Anruf entgegennehmen.«
    »Ich gebe meine Privatnummer nicht jedem. Sie sind ein vielversprechendes Talent.«
    »Freut mich sehr, das zu hören, Sir. Freut mich wirklich.«
    »Ich habe Ihre letzte E-Mail bekommen. Läuft anscheinend alles nach Plan.«
    »Ja, alles bestens.«
    »Das hört man gern.«
    »Ich würde nur gern wissen … haben Sie schon eine Ahnung, wann es so weit sein wird, Sir?«
    »Wenn wir das nur wüssten. Das ist, als würde man sich erkundigen, wann genau Terroristen als Nächstes zuschlagen wollen. Wir wissen es einfach nicht. Aber wir müssen auf alles vorbereitet sein. Ob und wann es passiert, kann keiner sagen.«
    »Natürlich.«
    »Und ich weiß, dass Sie bereit sein werden. Sie werden von unschätzbarem Wert für uns sein. Eine riesengroße Hilfe.«
    »Sie können auf mich zählen, Sir.«
    »Das Ganze ist nicht ungefährlich. Sind Sie sich dessen bewusst?«
    »Völlig.«
    »Es gibt feindliche Mächte, die nur zu froh wären, Sie in ihre Fänge zu bekommen.«
    »Das ist mir klar, Sir.«
    »Gut zu wissen. Also, ich muss jetzt Schluss machen. Meine Frau kommt heute aus dem Nahen Osten zurück.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Sie hat ganz schön was um die Ohren, so viel steht fest.«
    »Bedauert sie, dass sie nicht Präsidentin geworden ist?«
    »Ich sag Ihnen was: Ich glaube nicht, dass sie auch nur einen Moment Zeit hatte, sich darüber Gedanken zu machen.«
    »Da haben Sie wahrscheinlich recht.«
    »Wie dem auch sei: Machen Sie weiter so.«
    »Danke. Danke, Herr Präsident. Das – das ist doch noch immer die korrekte Anrede für Sie, oder?«
    »Selbstverständlich. Den Titel behält man, auch wenn man nicht mehr im Amt ist.«
    »Ich melde mich wieder.«
    »Das weiß ich.«

Vier
    S agen wir, du wohnst im Hotel Pont Royal und möchtest in den Louvre, wie kommst du da hin?«
    »Was?«, fragte ich. »Von welcher Stadt redest du überhaupt?«
    Er seufzte und sah mich über den Küchentisch hinweg traurig an, als wäre ich ein Kind, das ihn enttäuscht hat, weil es nicht bis fünf zählen kann. Wir sahen uns sehr ähnlich, Thomas und ich. Wir waren beide eins achtzig groß und hatten schwarzes Haar, das sich schon zu lichten begann. Allerdings wog Thomas ein paar Pfund mehr als ich. Ich war der schlanke Vince Vaughn aus Swingers, Thomas der fleischigere Vince Vaughn aus Trennung mit Hindernissen. Ich sah eindeutig gesünder aus, doch das lag nicht am Körperumfang. Wenn man das Haus kaum verließ und dreiundzwanzig Stunden am Tag in seinem Zimmer verbrachte – Thomas schaffte es, Frühstück, Mittagessen und Abendessen zu drei Zwanzig-Minuten-Pausen zu komprimieren – brauchte man sich über eine ungesunde, käsige Gesichtsfarbe und eine beinahe krankhafte Blässe nicht zu wundern. Wahrscheinlich litt er an
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