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Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod
Autoren: Linwood Barclay
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sehr schwierig, sich zu motivieren, richtig zu kochen oder anständig zu essen. Oft genug aß ich abends in der Küche im Stehen und sah mir dabei die Nachrichten im Fernsehen an. Oder ich nahm mir meine Lasagne aus der Mikrowelle mit nach oben ins Arbeitszimmer und aß am Zeichentisch.
    Im Kühlschrank standen auch sechs Dosen Budweiser. Mein Vater hatte nichts übrig gehabt für teures Chichi-Bier. Es fühlte sich irgendwie komisch an, seinen letzten Sechserpack zu schlachten, doch das hielt mich nicht davon ab, eine Dose herauszunehmen und zu öffnen.
    »Auf dich, Dad«, sagte ich und hob die Dose. Dann setzte ich mich an den Küchentisch.
    Das Haus war noch fast so aufgeräumt wie bei meiner Ankunft. Mein Vater war sehr akkurat, weshalb es ihm umso schwerer gefallen war, den Zustand des oberen Flurs zu akzeptieren. Ich führte seine Pingeligkeit auf seine Zeit beim Militär zurück. Nach seiner Einberufung hatte er zwei Jahre gedient, den größten Teil davon in Vietnam. Er sprach nie darüber. »Vorbei ist vorbei«, sagte er jedes Mal, wenn das Thema zur Sprache kam. Er selbst neigte eher dazu, seine Gewohnheiten seiner Arbeit als Schriftsetzer zuzuschreiben, bei der Präzision und ein Auge fürs Detail das A und O waren.
    Ich saß da, trank Dads Bier und sammelte die Kraft, um etwas aufzutauen oder in die Mikrowelle zu stellen. Während ich Sachen aus dem Gefrierschrank holte, gönnte ich mir ein zweites Bier. Da ich mich in dieser Küche nicht auskannte, musste ich mehrere Schubladen öffnen, um Sets, Besteck und Servietten zu finden.
    Als alles fast fertig war, ging ich ins Wohnzimmer. Die Hand schon auf dem Geländer, um nach oben zu gehen, blieb ich kurz stehen und sah mich in dem Zimmer um. Da war die karierte Couch, die meine Eltern vor zwanzig Jahren aus dem Haus in Albany mitgebracht hatten, der Fernsehsessel, von dem aus mein Vater in seinen Sony guckte. Der ramponierte Couchtisch, den sie zusammen mit der Couch gekauft hatten.
    Die Möbel waren schon reichlich angejährt, aber was technische Geräte anging, war mein Vater auf dem neuesten Stand. Da war zunächst einmal der Fernseher selbst: Ein 36-Zoll-Flachbildschirm mit HD, den er sich vor einem Jahr gekauft hatte, um Football und Hockey anzuschauen. Er liebte Sport, auch wenn er sich allein damit vergnügen musste. Dann gab es noch einen DVD-Spieler und eins dieser Dinger, mit denen man Filme aus dem Internet abrufen kann.
    Er sah sie sich allein an.
    Das Wohnzimmer war ein Wohnzimmer wie Millionen andere. Normal. Nichts Außergewöhnliches.
    Am oberen Ende der Treppe sah das ganz anders aus.
    Meine Eltern hatten getan, was sie konnten, damit die Obsession meines Bruders nicht über seine eigenen vier Wände hinausdrang, doch es war ein aussichtsloser Kampf. Der Flur, den Mom vor Jahren gelb gestrichen hatte, war von oben bis unten zugeklebt, es gab kaum einen freien Quadratzentimeter. Auf dem oberen Treppenabsatz stehend, betrachtete ich diesen Flur, von dem die Türen zu den drei Schlafzimmern und dem Bad abgingen, und überlegte, wie ein unterirdischer Kartenraum im Zweiten Weltkrieg wohl ausgesehen haben mochte. Bestimmt waren auch dort die Wände vollgehängt mit überdimensionalen Karten von Feindgebieten und überall Militärstrategen, die, ihre Zeigestäbe schwingend, ihre Invasionspläne schmiedeten. Doch ein derartiges Durcheinander von Karten hätte in so einer Kommandozentrale garantiert nicht geherrscht. Da waren die Deutschlandkarten bestimmt alle an einer Wand aufgehängt, die Städte fein säuberlich dort, wo sie hingehörten, während Frankreich wahrscheinlich an einer anderen Wand hing und Italien an einer weiteren.
    Wohl kein Kriegsstratege, der sein Geld wert war, hätte eine Polenkarte neben eine von Hawaii geklebt. Oder zugelassen, dass ein Stadtplan von Paris in eine Übersichtskarte der Autobahntankstellen in Kansas hineinragte. Eine topographische Karte von Algerien neben Satellitenaufnahmen von Melbourne gehängt oder eine zerfledderte National-Geographic-Karte von Indien neben eine Karte von Rio de Janeiro direkt in die Wand getackert wurde.
    Gegen diesen Wandbehang, diesen verrückten Landkarten-Quilt auf dem Flur im ersten Stock, hatte nicht das kleinste Stück Wand eine Chance. Es sah aus, als hätte jemand die Welt in einen Mixer gekippt und zu einer Tapete verrührt.
    Rote Leuchtstiftmarkierungen zogen sich von einer Karte zur anderen und stellten geheimnisvolle, anscheinend willkürliche Verbindungen her. Überall
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