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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Autoren: Jörg Maurer
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formuliert. Die Übersetzung wurde von der Amtskirche leider niemals anerkannt. Sehr schade.
     
    Für den Gemüsemann am Marktstand war es heute an der Zeit zu granteln. Es war so ein Tag. Er hatte keinen Grund dazu, das Wetter war schön, der Himmel blitzblau, die Geschäfte an diesem Markttag liefen hervorragend, der Blumenkohl lag prall und rösch im Korb, er hatte keine komplizierten Kunden gehabt, keine Taschendiebe, Mundräuber, Wechselgeldwoller oder Pastinakenkritiker. Trotzdem schnauzte er den Mann, der sich über den Blumenkohlkopf beugte, heftig an:
    »Pratzen weg, gelln S’. Anglangt is kafft.«
    (In etwa: Finger weg, das gilt auch für Sie. Die Berührung der Ware bedeutet Kaufentscheidung.)
    Der Angesprochene, Kriminalhauptkommissar Hubertus Jennerwein, zog die Hand zurück. Er wusste um die bayrische Befindlichkeit des Grantelns. Er wusste, dass es in solch einem Fall sinnlos war, zu diskutieren. Noch hatte er gar nichts berührt, er hatte es auch nicht vorgehabt. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und schwieg freundlich.
    »Was is’ jetzad?«, wurde er angeblafft. »Kaffassas dann?«
     
    Das bayrische Grantigsein ist zu unterscheiden von ähnlich misslichen Befindlichkeiten anderer Volksstämme. Der Grant des Österreichers etwa, der mit dem bayrischen Grant oft in einen Topf geworfen wird, ist morbide, todesverliebt und jenseitig. Dieser Grant hat die Farbe des Verzweifelten. Zornrot werden die Grantler in Wien, diesen Donauraunzern und Wienerwaldmoserern schwillt der Kamm, und nicht selten fliegt über ihnen schon der große schwarze Vogel Tod. Aber auch beim überseeischen Blues, der mit dem Granteln oft verglichen wird, geht es um etwas grundsätzlich anderes. Für den Blues gibt es nämlich immer handfeste Gründe: tagelanger Regen down in Tennessee, ein böses Erwachen mit Kopfweh, der letzte Tropfen Whiskey, eine unerklärliche Schusswunde – solche fatalen Dinge behandelt der Blues, und der Schmerz wird immer schön eingepresst zwischen Tonika und Subdominante. Der Bayer braucht für seinen Fünfseenblues solche profanen Gründe nicht. Er beherrscht die Kunst zu klagen, ohne zu leiden. Zum föhngestützten Alpin-Grant hat er nicht einmal ein Instrument nötig. Er grantelt sozusagen freihändig und auswendig. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die ostwestfälische Schwermut und Nachdenklichkeit bemüht. Oder die russische Seele, die man angeblich aus den Liedern der Wolgaschiffer heraushören soll. Oder die französische Tristesse, die es bei Sartre und Camus sogar zu philosophischem Ansehen gebracht hat. All das kann niemals an die spontane Gefühlsregung eines alpenländischen Grantlers herankommen.
     
    »Und? Nehmen S’ jetzt den Blumenkohl?«, fauchte der Gemüsehändler.
    Jennerwein schüttelte den Kopf. Er sah sich um. Hinter ihm hatte sich eine kleine Schlange gebildet.
    »Nein«, sagte er zu dem grantigen Tandler, »ich wollte nur schauen, was Sie da Schönes haben.«
    »So, schauen wollten S’. Aha. Ja, dann schaun S’ halt, in Gottes Namen.«
    »Wieviel kostet denn ein Kopf?«
    »Warum wollen Sie das jetzt wissen? Wenn Sie doch bloß schauen wollen?« Der Gemüsehändler stutzte. »Aber Sie kommen mir bekannt vor!«
    »Meinen Sie?«
    »Sie waren schon öfters da.«
    »Das kann durchaus sein.«
    Jennerwein machte einem anderen, kauffreudigeren Kunden Platz. Er trat einen Schritt zurück, warf noch einen letzten Blick auf die bunten Gemüsearrangements, wandte sich dann zum Weitergehen. Er liebte den Markt. Er liebte es, herumzuschlendern, prall wuchernde Viktualien zu vergleichen und all die Verkaufstaktiken der Händler und Kaufgewohnheiten der Kunden zu studieren. Er konnte sich hier wunderbar entspannen. Wenn es an seinem Arbeitsplatz schnell gehen musste mit der Entspannung, dann spreizte er Daumen und Mittelfinger und massierte sich damit die Schläfen. Aber bei einem Spaziergang auf dem Wochenmarkt ging es auch ohne solche Hilfsmittel.
     
    Kriminalhauptkommissar Hubertus Jennerwein hatte heute Bereitschaftsdienst. Bereitschaftsdienst war praktisch gleichbedeutend mit: freier Tag. Nur im äußersten Notfall, zum Beispiel wenn sich die Sonne zu einem roten Riesen ausdehnte und die Bayrische Polizei über geeignete Gegenmaßnahmen beraten müsste, dann würde auch der Bereitschaftsdienst hinzugezogen werden. In so einem Fall würde sein Mobilfunkgerät klingeln, das er in der Jackentasche trug. Wenn es nicht klingelte, würde es ploddernd vibrieren, und
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