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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Autoren: Jörg Maurer
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lag in der Luft. Der Schuss und das splitternde, keckernde Bersten des Kalksteins schienen noch nachzuhallen in den sonst so friedlichen Höhen. Der Geiselnehmer holte ein Fernglas aus seinem Rucksack und suchte damit die umliegenden Berge ab. Er drehte sich um die eigene Achse und beobachtete den wolkenlosen Himmel. Dann nahm er die PP - 19 und sicherte sie. Das macht der nicht zum ersten Mal, fuhr es dem Bärtigen durch den Kopf. Sowas lernt man nicht in einem Volkshochschulkurs. Der hat eine militärische Ausbildung hinter sich.
    »Und nun zu dir, mein Freund.«
    Der Geiselnehmer kam direkt auf den Bärtigen zu. Dessen erster Impuls war, sein Mobiltelefon mit der freien Hand über die Felskante in die Tiefe zu werfen. Der Typ sollte wenigstens nicht erfahren, an wen er gesimst hatte. Aber er zögerte. Das graphit-schwarze Gerät war immer noch unter dem Oberschenkel verborgen. Eine heiße Angstwelle lief durch seinen Körper. Aber vielleicht hatte es der Gangster gar nicht bemerkt, vielleicht wollte er ganz etwas anderes mit
Und nun zu dir, mein Freund!
sagen. Er ließ das Handy stecken, wo es war, doch im nächsten Augenblick wusste er, dass der Geiselnehmer sehr wohl etwas bemerkt hatte. Obwohl er jetzt direkt vor ihm stand, brüllte er ihn mit dem Megaphon an.
    »Unser Freund hier vorne ist wohl ein ganz Schlauer!«
    Der Gangster stellte sich breitbeinig hin und stieß ihn mit dem Pistolengriff schmerzhaft vor die Brust, so dass er fast umkippte. Dann griff der Megaphonmann unter das Bein des Bärtigen und holte das Handy hervor. Er hielt es hoch.
    »Alle mal hersehen, was ich da Feines gefunden habe!«
    Die Geiseln stöhnten auf. Es klang fast nach einem abgesprochenen, lange eingeübten Theaterseufzer. Doch es war der Ausdruck echter Angst. Da hatte sich einer vorgewagt. Da hatte einer etwas unternommen in der schier aussichtslosen Situation. Aber gleichzeitig hatte da einer gegen die Regeln verstoßen. Es war wie damals in der Schule. Gegen den Lehrer aufzumucken war zwar gut, aber es brachte die ganze Klasse in Gefahr. Alte Erinnerungen stiegen auf. Alte Erinnerungen an die Schule sind selten positiv. Meist blubbern nur die übelriechenden und peinlichen Blasen aus dem Froschtümpel des Vergessens: miese Lehrer, ungelüftete Klassenzimmer, eine ungerechte Fünf minus, Angst vorm Durchfallen, Füller vergessen, Klassenkeile. All das stieg jetzt in dem Bärtigen auf und gab dem scharfen Geruch der Angst noch zusätzlich etwas Ranziges. Vermutlich empfanden das die anderen Opfer auch so.
     
    Der Mann mit der Maschinenpistole beugte sich nach hinten, als ob er das Handy über den Rand der Klippe werfen wollte. Dann hielt er mitten in der Bewegung inne. Ihm schien etwas eingefallen zu sein. Er tippte mit einem Finger auf das Display. Erst jetzt fiel es auf, dass er hautfarbene Einmalhandschuhe trug. Der schien an wirklich alles gedacht zu haben. Ein Profi. Nachdem er gesehen hatte, was er sehen wollte, steckte er das Gerät in seine Windjacke.
     
    Der Bärtige sah es an den Schultern, an der ganzen Körperhaltung. Dieser Mensch zitterte vor Wut. Er war stinksauer darüber, dass er ausgetrickst werden sollte.
    »Falls noch jemandem etwas in der Art einfallen sollte, seht her, was mit ihm geschieht.«
    Er packte die Maschinenpistole am Lauf. Doch er hatte nicht vor, zu schießen. Er hatte vor, zuzuschlagen. Und er schlug zu. Mit aller Kraft. Er zielte auf die ungefesselte Hand des Bärtigen, mit der dieser sich am Boden aufgestützt hatte. Er konnte sie nicht mehr rechtzeitig wegziehen. Das schwere Gerät traf ihn mit voller Wucht. Der Schmerz fuhr ihm dermaßen in den Körper, dass er unbeherrscht und kreischend aufschrie. Er blickte auf die Hand. Der Daumen stand in unnatürlichem Winkel ab. Er zitterte am ganzen Körper, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Seine Hand war vollständig zertrümmert. Er war unfähig, sich zu bewegen. Der Schmerz schwoll an und nahm ihm fast den Atem. Der Gangster hob die Pistole nochmals hoch, als wollte er erneut zustoßen. Er beließ es bei der Drohung.
    »So wird es jedem ergehen, der sich nicht an die Anweisungen hält.«
    Er setzte sich wieder auf den erhöhten Stein. Niemand wagte hinzusehen. Keiner wollte den Blick des brutalen Typen auf sich lenken. Es herrschte atemlose Stille, selbst das flehentliche Gebet der Frau dort hinten war verstummt. Der Maskenmann holte das Mobiltelefon des Bärtigen aus seiner Tasche. Er tippte eine Weile darauf herum und las. Der
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