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Felidae

Felidae

Titel: Felidae
Autoren: Akif Pirincci
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schließlich dort, wo er ihn gefunden hatte.
    Was zum Henker aber ging mich dieser Raymond-Chandler - Mist an, was dieser Jack the Ripper, der am laufenden Band kalte Säcke produzierte! Hatte ich nicht Probleme genug? Im Nebenzimmer schluchzte mein Lebensgefährte über seine Unfähigkeit, die Kryptographie eines zweihundertneunzehn Mark teuren Sachbuches über Bodenverlegen zu begreifen, und ich selbst kämpfte in diesem Drecksloch von Wohnung mit meinen depressiven Schüben.
    Aber wie immer im Leben renkte sich nach und nach alles wieder ein. Auf eine nervtötende Art zwar, aber immerhin. Der Weisheit letzter Schlu ß hieß, wie stets bei Gustavschen Krisen, Archie!
    Archibald Philip Purpur ist, wie er sich gerne bezeichnet und wie auch andere ihn gerne bezeichnen, ein Optimist. Zwar täte diesem guten Mann eine kleine Portion Pessimismus gar nicht mal so schlecht, doch Archie kann und will einfach kein Kind von Traurigkeit sein. Archibald ist, wo er geht und steht, ein freudig erregter Suchender in Sachen Trends, Weltanschauung und Lebensgefühl. Niemand weiß so recht, womit dieser Prachtkerl sein Geld verdient, was er augenblicklich treibt und auf was für einem Trip er sich gegenwärtig befindet. Doch jeder kennt Archie und kann ihn jederzeit erreichen. Es gibt wohl nichts, aber auch wahrhaftig gar nichts, was Archie in seinem ach so wunderbaren Leben nicht durchgemacht hätte, was er nicht schon einmal gewesen und wozu er nicht imstande wäre. Kramt man nach all den Jahren mal die arg verstaubte Woodstock-LP hervor und gedenkt der süßen Patschuli-Zeiten: zack! da meldet sich auch schon der gute alte Archie zu Wort. Sofort zückt er das vergilbte Festivalticket aus dem Portemonnaie und zeigt es stolz herum. Wer es nicht glaubt, kann Jung-Archie sogar in einer Einstellung des berühmten Filmes die Haschpfeife herumreichen sehen - mit »so 'ner Matte«, versteht sich! Soweit ich weiß, hat er von Mick Jagger eine eidesstattliche Erklärung, da ß er bei der Session von Sympathy for the Devil anwesend war und im Uhh-uhh-Chor mitgeuhhuhht hat. Urschrei und so? Abgefuckter alter Hut für Archie. Er hat seinen Urschrei schon vor Äonen erfolgreich abgeschrien, erkannte während seiner Reinkarnationserfahrung, da ß er in seinem früheren Leben Valentinos Leibschwuchtel gewesen war, und traf gerade noch rechtzeitig in Poona ein, um Baghwans Texte zu verfassen, die ja bekanntlich heute in einer Millionenauflage vertrieben werden. Er war einer der ersten alternativen Bauern, der sein Brot selbst buk und die Körpertemperatur bei seiner Freundin zwecks natürlicher Empfängnisverhütung selbst maß. Wir lernten gerade das Wort »Punk« zu buchstabieren, da überraschte uns Archie mit seiner Irokesenfrisur, wobei er Unmengen Dosenbier soff und sich bemühte, vollständige Sätze zu rülpsen. Sagte jemand, da ß Surfen in sei? Mit Sicherheit wellenreitet Archie bereits vor Malibu auf einem Surfbrett, auf dem sämtliche Beach Boys ihre Autogramme verewigt haben. Vom Hippie-Leben auf Kreta bis zum Yuppie-Stress in Manhattan, vom Kokablätterkauen bis zum Calvin-Klein-Jeans-Tragen, dies alles und noch mehr hat Archie schon hinter sich, außer vielleicht, da ß er 1969 nicht mit den anderen Jungs von der NASA auf dem Mond gelandet ist, was mich, offen gesagt, etwas enttäuscht.
    Die Frage ist eigentlich nicht, ob Archie in seinem Leben je etwas verpa ß t hat, sondern vielmehr, ob Archie überhaupt existiert. Denn alles, was er zu sein scheint, scheint Schein zu sein. Unweigerlich drängt sich einem der Verdacht auf, dass er sich in Luft auflösen wird, sobald man ihm den Rücken zudreht, da er seine Existenz ganz offensichtlich der Phantasie eines Zeitgeistmagazinredakteurs verdankt. So ist Archibald letzten Endes eine durch und durch leere Unperson, die diese abgrundtiefe Leere durch pausenloses Trendsetten zu vergessen sucht. Nichtsdestoweniger ist er Gustavs bester Freund und hilft ihm, wo er nur kann - und Archie kann immer!
    Am vierten Tage seiner Abri ß schöpfung rief Gustav also Archie an und setzte ihm den Sachverhalt auseinander. Fünf Minuten später stand Archie in dem Bombentrichter, den Gustav beharrlich weiterhin als unser Heim bezeichnete und entwarf einen exakten Schlachtplan. Chamäleon, das er war, hatte er sich diesmal äußerlich in Sonny Crocket aus Miami Vice verwandelt und fummelte beständig an den Kunststoffäden seiner modischen Sonnenbrille. Wie erwartet, war er nicht nur auf dem Gebiet des
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