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Felidae

Felidae

Titel: Felidae
Autoren: Akif Pirincci
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Totalverkrüppelung mit einer stoischen Ruhe zu ertragen, geradeso, als wäre die ganze Angelegenheit so was wie Heuschnupfen. Offensichtlich hatten diese diversen Deformationen auch Zugang in sein Kopfinneres gefunden, denn obwohl ich nun seit ungefähr einer Minute neben ihm stand, beachtete er mich nicht und schaute stur nach unten. Supercool eben. So tat ich ihm den Gefallen, senkte mein Haupt nieder und versuchte, im Garten die Stelle zu fixieren, die meinen Nebenmann so in ihren Bann zog.
    Was ich dort sah, war sozusagen mein Willkommensgeschenk. Unter dem hohen Baum, von Sträuchern halb verdeckt, lag ein schwarzer Artgenosse, der alle Glieder von sich gestreckt hatte. Nur schlief er nicht. Es war auch kaum anzunehmen, da ß er in Zukunft weder aktiv noch passiv eine Tätigkeit würde ausüben können. Er war, wie der gemeine Bauer sagt, mausetot. Um genauer zu sein: Es handelte sich um die bereits in Verwesung begriffene Leiche eines Artgenossen. Aus seinem vollkommen zerfetzten Nacken war all sein Blut hinausgeflossen, das erst eine große Lache gebildet hatte und dann getrocknet war. Aufgeregte Fliegen kreisten über ihm wie Geier über dem verendeten Vieh.
    Der Anblick war ein Schock, doch meine Empfindsamkeit hatte nach all dem, was ich heute bereits über mich hatte ergehen lassen müssen, merklich nachgelassen. Innerlich verfluchte ich Gustav jetzt zum tausendsten Male, weil er mich in diese nunmehr bewiesenermaßen mörderische Gegend gezerrt hatte. Ich war paralysiert und wünschte mir, da ß das alles ein Traum oder zumindest einer dieser neunmalklugen, »realistischen« Trickfilme, die man gelegentlich über unsere Art macht, gewesen sei.
    »Dosenöffner!« sagte plötzlich das Monster neben mir, mit einer Stimme, die genauso deformiert war wie die ganze Erscheinung. Eine Stimme, als würden sämtliche John-Wayne-Synchronsprecher dieser Welt im Chor knattern.
    Dosenöffner, hm ... Tja, was sollte man darauf antworten, wenn man kein Monster war und seine Sprache nicht verstand?
    »Dosenöffner?« fragte ich. »Was meinst du damit?«
    »Na, es waren verfluchte Dosenöffner. Sie haben's getan, sie haben dem kleinen Sascha 'n Sonderventil in den Nacken verpa ß t, Mann!«
    Ich assoziierte eine Weile, versuchte, mir irgend etwas im Zusammenhang mit einem Dosenöffner vorzustellen, was mir angesichts dieser stinkenden Leiche unten und der noch stärker stinkenden Halbleiche an meiner Flanke schwerfiel. Dann wu ß te ich es.
    »Du meinst Menschen? Haben ihn Menschen umgebracht?«
    »Klar", brummte John Wayne. "Es waren beschissene Dosenöffner!«
    »Hast du's beobachtet?«
    »Scheiße, nein!«
    Über sein Gesicht huschten Verärgerung und Entrüstung. Die coole Fassade schien ins Wanken zu geraten.
    »Aber wer sollte so was sonst tun, als ein beschissener Dosenöffner? Ja, ein beschissener Dosenöffner, der für nichts anderes gut ist, als für uns die Dosen zu öffnen! Scheiße, ja!«
    Er kam jetzt richtig in Fahrt.
    »Ist schon der vierte kalte Sack.«
    »Du meinst, der da ist schon die vierte Leiche?«
    »Bist wohl neu hier, was?«
    Er lachte röhrend, und seine Coolness schien wieder zurückzukehren.
    »Beziehst du die Müllhalde da drin? Nettes Plätzchen. Geh' ich immer zum Pinkeln hin!«
    Ohne sein Gelächter, das sich nun zu einem dämlichen Gegröle steigerte, zu beachten, sprang ich von der Terrasse in den Garten und näherte mich der Leiche. Es war ein grauenhaftes und zugleich trauriges Bild. Ich begutachtete das faustgroße Loch im Nacken des Toten und schnupperte daran. Dann drehte ich mich zu dem Witzbold auf der Terrasse um.
    »Es war kein Dosenöffner«, sagte ich. »Dosenöffner haben Messer, Scheren, Rasierklingen, Schraubenschlüssel, ja Dosenöffner, jedenfalls viele hübsche Mordinstrumente zur Verfügung, wenn sie jemanden kaltmachen wollen. Aber der Nacken von dem hier ist total zerfetzt, zerfranst, ja geradezu in Stücke gerissen worden.«
    Das Monster rümpfte die Nase und wandte sich zum Gehen. Doch so richtig gehen konnte der Arme nicht. Es war eher eine faszinierende Mischung aus Humpeln und Torkeln, die er zugegebenermaßen zu einer Art sportlicher Disziplin vervollkommnet hatte.
    »Wen interessiert das!« sagte er trotzig und humpelte und torkelte über die Nachbargartenmauer, wahrscheinlich in Richtung Invalidenheim. Aber nach ein paar Schritten machte er plötzlich halt, drehte sich um und beugte sich zu mir herunter.
    »Wie nennt man dich, Klugscheißer?« fragte er, sein
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