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Felidae

Felidae

Titel: Felidae
Autoren: Akif Pirincci
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nächsten Moment konstatieren, da ß die enthusiastische Unterhaltung, die er mit den betagten Wänden der Küche führte, sich keinesfalls um den niederschmetternden Zustand dieses Lochs drehte, sondern ganz im Gegenteil seiner freudigen Erregung Ausdruck gab, endlich im gelobten Land angekommen zu sein. Und wie er da stand, immer wieder um die eigene Achse wirbelte, die Arme emporgestreckt wie zu einem Gebet oder einem kultischen Ritual, und vor sich hinplapperte, als hielte er eine Rede an all die Insekten- und Bakterienstaaten, da tat mir dieser Mann irgendwie leid. Mit einem Mal kam er mir vor wie eine dieser schäbigen, alkoholkranken Nebenfiguren aus einem Tennessee-Williams-Stück. Gustav war kein tragischer Held, für den sich das Publikum die Augen ausweinen würde, wenn er am Ende einer Tragödie das Zeitliche segnete. Sein Leben war ein ganz gewöhnliches, stinklangweiliges Drama, eins von der Sorte, aus der Fernsehredakteure den Stoff für solche Betroffenensendungen wie »Fettleibigkeit muss nicht sein!« oder »Senken Sie Ihren Cholesterinspiegel!« bezogen. Wer war er schon? Ein fetter, nicht besonders intelligenter Mann Mitte Vierzig, der liebevolle Weihnachts- und Geburtstagsgrußkarten an sogenannte Freunde schrieb, die ihm alle zehn Jahre einen Besuch abstatteten, und der seine gesamte Glaubens- und Hoffnungskraft in die Pharmaindustrie investierte, auf dass sie ein Wundermittel gegen seine fortschreitende Kahlheit erfände. Das ideale Opfer von Versicherungsvertretern, dessen drei oder vier unglückliche Sexepisoden in seinem unglücklichen Sexleben sich allesamt in der Nacht von Rosenmontag mit schauderhaften Kreaturen abgespielt hatten, die am nächsten Morgen, während er seinen Rausch ausschlief, die Haushaltskasse mitgehen ließen. Und nun hatte er es irgendwie geschafft, diese Bruchbude zu ergattern. Es war für ihn einer der größten Erfolge in seinem Leben, und die tristen Aspekte seiner Existenz stimmten mich nachdenklich; in Anbetracht der farblosen Lebensverhältnisse dieses Mannes begann ich mich mit meinem Schicksal abzufinden. Hatte nicht alles eine Ordnung, einen Zweck und einen höheren Sinn in dieser Welt? Klar, so mu ß te es sein. Bestimmung, das war es. Oder wie der chinesische Fließbandarbeiter sagt: So, wie es ist, ist es gut!
    Doch genug der Philosophie, schließlich war Gustav nicht Hiob. Während also mein Freund weitere Oden an die Herrlichkeit unserer neuen Behausung verfa ß te, driftete mein Blick von ihm ab und fixierte das WC. Die Tür und das große rückwärtige Fenster standen offen, und ich nahm die Gelegenheit wahr, endlich den hinteren Teil des Gebäudes in Augenschein zu nehmen. Geschwind lief ich an dem mit sich selbst redenden Gustav vorbei, gelangte in die Toilette und sprang auf die Fensterbank.
    Die Aussicht, die sich mir von hier oben bot, war einfach paradiesisch. Es handelte sich dabei gewissermaßen um den Bauch des Wohnviertels. Unser Viertel bestand aus einem etwa zweihundert mal achtzig Meter großen Rechteck, dessen Rahmen die erwähnten properen Anno-Tobak-Klitschen bildeten. Hinter diesen Häusern, also direkt vor meinen Augen, breitete sich ein verschlungenes Netz von unterschiedlich großen Gärten und Terrassen aus, die von hohen, verwitterten Ziegelsteinmauern eingegrenzt wurden. In einigen Gärten standen recht pittoreske Gartenhäuschen und Lauben. Andere wiederum waren total verwildert, und ganze Schlingpflanzenarmeen kletterten über die Mauern hinweg in die Nachbargärten. Dort, wo es möglich war, hatte man ganz trend- und biomäßig Minitümpel angelegt, über denen Geschwader von neurotischen Großstadtfliegen lustlos und etwas verloren schwirrten. Es gab seltene Baumarten, sauteure Bambussonnenschirme, neoantike Terrakotta-Blumentöpfe mit Reliefs von kopulierenden Griechen, Batterien von Umweltschutzmüllkübeln, rührige Haschischanpflanzungen, Kunststoffskulpturen und alles, was das Herz eines neureichen Mittelständlers begehrt, der nicht mehr so recht weiß, was er mit den hinterzogenen Steuern anfangen soll.
    Dazu gesellten sich aber auch solche Gartenidyllen, deren Charakter man komprimiert mit dem Begriff »Gartenzwerg-Horror-Picture-Show« umreißen könnte. Diese Schauerszenerie n waren offensichtlich das Werk von Leuten, die ihren Hunger nach modischen Trends allein mit dem Otto-Versand-Katalog stillten.
    Was unsern Distrikt betraf, so lag der Fall etwas komplizierter. Direkt unter mir, das heißt unter dem Klofenster,
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