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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum
Autoren: Irina Tabunowa
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Zahnbürste als Symbol
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    Als ich Vera im Badezimmer wusch, schnappte sich meine Tochter eine Zahnbürste aus dem Glas, stecktesie sich in den Mund und kratzte sich damit das Zahnfleisch. Die Zahnbürste gehört meiner Mutter – ich konnte sie ihr kaum entreißen.
    Meine Mutter war völlig deprimiert, dass alle in unserer Familie darauf versessen scheinen, sich mit einer fremden Zahnbürste die Zähne zu putzen. »Wie lange habe ich versucht, das eurem Vater auszutreiben«, sagte sie, »wie oft habe ich mit ihm geschimpft. Nichts hat geholfen. Erst meine Drohung, ich würde mit seiner Zahnbürste ungefragt die Toilette putzen, hat Wirkung gezeigt. Danach hat er meine nie mehr genommen. Und jetzt stopft sich meine Enkelin meine Zahnbürste in den Mund …«
    Die Zahnbürste ist nicht nur ein Symbol für Hygiene, sondern auch ein Ausdruck für das Verhältnis eines Menschen zu seiner Umwelt und seinen Mitmenschen. Meine Schwester, zum Beispiel, stellt ihre Zahnbürste nie in den allgemeinen Zahnputzbecher, sondern bewahrt sie auf ihrem Waschtisch auf. Wie auch ihr Handtuch. Und eine meiner Freundinnen hat mir einen leichten Schock zugefügt, als ich einmal bei ihr übernachtete und sie sagte: »Ira, Handtücher sind hier, Laken sind dort und meine Zahnbürste ist die rote, die kannst du nehmen.« Ich bin wahrlich kein Musterbeispiel für Hygiene, aber da war sogar ich platt. Obwohl auch Veras Vater und ich zeitweise eine Zahnbürste zu zweit benutzt haben.
    Außerdem kann die Zahnbürste ein Symbol und Zeichen sein, in einem Fall zum Beispiel ein Durchfahrtsverbotsschild: Ich hatte mal einen Freund, mit dem ich etwa ein halbes Jahr zusammen war. Irgendwann im dritten Monat unserer Bekanntschaft fing es an, dass mich die dritte Zahnbürste auf seinem Badregalstörte. Denn dort standen: seine, meine und die Zahnbürste seiner Exfreundin, was mich nervte. Ich fing an, unaufdringliche Anspielungen zu machen, nach dem Motto: »Könntest du mir nicht diese Zahnbürste aus den Augen schaffen, Liebster?« Woraufhin mein damaliger Geliebter die Hörner ausfuhr. Diese Zahnbürste sei eine Erinnerung an seine große Liebe. Nach einem Monat wuchs die Meinungsverschiedenheit wegen der dritten Zahnbürste zu einem Eklat heran, und nach einem halben Jahr waren wir getrennt. Meine Zahnbürste habe ich stolz mitgenommen, die anderen beiden konnten nun endlich in Ruhe ihr Tête-à-Tête abhalten.
    Da wir unser bekanntschaftliches Verhältnis nicht auflösten, sah ich danach noch lange diese Zahnbürste in seinem Zahnputzbecher. Und irgendwann vor einem Jahr war sie dann verschwunden. Wahrscheinlich ist sie in die Schreibtischschublade umgezogen … Mit den Zahnbürsten ist es also keine leichte Sache.
    Für Vera habe ich eine spezielle Finger-Zahnbürste gekauft. Als Symbol der Initiation des Erwachsenwerdens.
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    6. März 2004
Angriff der Kinderrasseln
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    Die Wohnung droht in Spielsachen zu versinken. Woher sie alle kommen, ist mir ein Rätsel. Sie liegen auf Regalen, auf dem Boden und hängen von der Decke. Von Zeit zu Zeit sammele ich sie in einer karierten Wachstuchtasche (in solchen Taschen transportieren die Schwarzmarktverkäufer Unterwäsche, Hosen und Mäntel). Doch kaum drehe ich mich um, hat sich dasSpielzeug wieder in alle Winkel der Wohnung verteilt. Es liegt im Badezimmer neben der Seife. Es klappert neben dem Computer. Es schleicht zu mir ins Bett …
    Â 
    10. März 2004
Zähneknirschen
    Â 
    Bei Vera wachsen zwei weitere Zähne. Am Oberkiefer. Mit ihnen knirscht sie jetzt mit aller Gewalt gegen die unteren.
    Meine Mutter kann das nicht mit anhören und sagt: »Vera, mach den Mund auf.« Meine Tochter öffnet gehorsam den Mund, das Knirschen hört auf, aber es fließt sofort reichlich Speichel. Meine Mutter sagt: »Mach den Mund zu.« Vera schließt den Mund, und das Knirschen geht weiter, als würde sie ein Federmesser an einem Stein wetzen.
    Was ist also besser, Speichel oder Zähneknirschen?
    Â 
    14. März 2004
Meine Tochter ist genial
    Â 
    Seit dem Morgen sitze ich am Computer und schreibe ein Interview. Meine Tochter krabbelt daneben auf der Auslegeware herum. Vor einer halben Stunde habe ich sie auf den Topf gesetzt und weitergeschrieben. Fünfzehn Minuten später fängt meine Tochter an, zu schmatzen. Ich drehe mich um und sehe Vera
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