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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss
Autoren: Anna Geller
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Hinter ihr schob sich Heinz Hellwein
in den Raum. Er sah ebenso zerknittert aus wie seine Chefin. Chris hob
überrascht eine Augenbraue. Er hatte Hellwein noch nie ohne Anzug und Krawatte
gesehen. Die Hemden, die er dazu trug, waren edel und teuer, und seine Schuhe
sahen immer aus wie frisch geputzt. Jetzt aber stand er da in ausgebeulten
Jogging-Hosen und einem verwaschenen schwarzen Sweatshirt. Seine nackten Füße
steckten in schmutzigen Turnschuhen.
    Chris betrachtete die beiden eingehend. Außer ihrem ramponierten
Äußeren hatten sie wirklich nichts gemeinsam. Die hochaufgeschossene, dürre
Susanne, die mit ihrer aufgesetzten Härte Freund und Feind in die Flucht
schlagen konnte, deren verkniffener Gesichtsausdruck jedem Fremden vermittelte,
dass sie ihren Sarkasmus schon mit der Muttermilch eingesogen hatte. Aber Chris
wusste, wie verletzlich sie eigentlich war, wie sehr der Tod von Peter ihr nach
all den Jahren immer noch zu schaffen machte. Peter Braun war sein bester
Freund gewesen, und manchmal hatte er den Verdacht, dass er nun der einzige
Mensch auf der Welt war, dem Susanne einen Blick in ihr Innenleben gestattete.
    Hellwein war das genaue Gegenteil seiner Vorgesetzten. Ein bisschen
untersetzt, mit einem gewissen Hang zum Bauchansatz. Seine Miene drückte meist
eine liebenswürdige Gutmütigkeit aus. Der typische Single, der zu oft in
Schnellrestaurants und Imbissbuden aß, sich fürs Kegeln, feine Klamotten und
seinen Job interessierte und sonst nichts. Er war jedoch nicht zu
unterschätzen. Gerade bei Verhören spielte er sein ganzes kriminalistisches
Können aus. Er gab sich wie der freundliche Onkel, dem man alles erzählen konnte,
um sich fünf Minuten später wie ein Terrier festzubeißen. Wahrscheinlich war es
gerade diese Gegensätzlichkeit, die die beiden zu einem äußerst erfolgreichen
Gespann gemacht hatte.
    Susanne steuerte auf das Laken zu, packte es am oberen Ende und riss
es zur Seite. Vielleicht wurden alle so, die lange genug im Morddezernat
arbeiteten, überlegte Chris. Vielleicht hast du dann zu viele Tote gesehen, zu
viele scheußliche Dinge, um auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern, ehe
du eine nackte Frauenleiche aufdeckst.
    Sein Blick saugte sich an Ingeborg Lautmanns Gesicht fest, das
irgendwie durchsichtig aussah, wie eine schlecht nachgestellte Figur aus Madame
Tussauds Wachsfigurenkabinett. Erst jetzt, im diesem grellen Licht, sah er, wie
zerschlagen das Gesicht wirklich war. Auch der Oberkörper war schrecklich
zugerichtet. Rote Streifen liefen über beide Brüste, blutunterlaufene Stellen
zeichneten sich überall ab, kreisrunde, verfärbte Bereiche, die womöglich von
Zigarettenglut herrührten. Die Oberschenkel waren blau-schwarz verfärbt.
Hämatome, die ihren Ursprung im Unterleib hatten und dann „ausgelaufen“ waren.
Das medizinische Halbwissen, das er in den acht Jahren mit Anne zwangsläufig
angesammelt hatte, reichte aus, um ihm das deutlich zu machen.
    Sein Magen begann zu rebellieren, und etwas Saures stieg ihm in die
Kehle. Er hatte schon immer schlecht mit Gewalt umgehen können, und als
Strafverteidiger fühlte er sich oft gehandicapt, weil er noch nicht mal
bestimmte Tatortfotos ansehen konnte, ohne dass ihm übel wurde.
    Schnell ging er hinaus auf den Flur, und sein Magen beruhigte sich
augenblicklich. Wenig später folgten Susanne und Hellwein, der einen
durchsichtigen Beutel mit der Kleidung von Ingeborg Lautmann unter dem Arm
trug.
    Susannes Nasenflügel waren aufgebläht wie die Nüstern eines Pferdes.
Sie schaute Chris direkt in die Augen. „Wer auch immer sie mit einem Sandsack
verwechselt hat“, presste sie zwischen den Zähnen hervor, „wir werden ihm schon
Feuer unterm Arsch machen!“
    Beinahe dankbar registrierte Chris, dass auch Susanne noch erschüttert
sein konnte, wenn sie die Leiche einer misshandelten Frau sah.
    Aber gleich darauf klatschte sie in die Hände und fand zu ihrem
unterkühlten Ton zurück. „Okay! Heinz! Sorg dafür, dass sie in die Rechtsmedizin
kommt. Spurensicherung in die Hünefeldstraße. Aber nur das kleine Team, viel
wird da nicht sein.“
    Natürlich nicht, dachte Chris. Die Hünefeldstraße war nur der mehr
oder weniger zufällige Fundort. Eine Stelle, an der die Frau kaum eine Minute
gewesen war. Großartige Spuren würden sie dort nicht ausmachen, schon gar nicht
bei dem Regen. Es würde weder die berühmte Zigarettenkippe des Täters geben,
noch Fußspuren oder sonst irgendwas.
    Auffordernd sah Susanne
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