Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss
Autoren: Anna Geller
Vom Netzwerk:
Raub versetzen und schleppen schwerhörige
Omas auf die Sparkasse, damit sie ihr Geld da einzahlen statt es unter der
Matratze zu horten“, schlug Hellwein grinsend vor.
    „Arschloch!“, zischte sie. Ihr war aufgegangen, wie viel sie gerade
von sich preisgegeben hatte. Und sie gab höchst ungern etwas von sich preis,
vor allem nicht Hellwein gegenüber. Der einzige Mensch auf der Welt, der sich
halbwegs in ihrem Innenleben auskannte, war Chris. Seit ein paar Monaten konnte
man vielleicht noch Karin dazuzählen, das war´s dann aber auch schon.
    Anfang der Woche waren die beiden nach Frankreich gefahren, fiel
Susanne ein. „Ein paar Tage Loire“, hatte Chris gesagt. Die letzten Monate war
er verdammt still gewesen, hatte seine Nase nicht mehr in Dinge gesteckt, die
ihn nichts angingen. Ob die Sache im Mai ihm so zugesetzt hatte, oder ob Karin
so positiv- beruhigend auf ihn wirkte, konnte Susanne nicht beurteilen.
Widerstrebend gestand sie sich jetzt ein, dass sie etwas vermisste. Sicher, sie
war manchmal über seine Alleingänge empört gewesen, und die halbseidenen
Quellen, aus denen er seine Informationen bezog, betrachtete sie mit Argwohn,
genauso oft bewunderte sie aber auch die ungewöhnlichen Denkansätze und den
blitzgescheiten Kopf ihres Freundes.
    Hellwein grinste immer noch und streckte die Hände über den Kopf. Eine
Bewegung, die er sogleich bereute. Seit dem Training gestern zwickte es ihn
gehörig im Kreuz. Es war bei der letzten Kugel gewesen, der kleinen roten, die
besonders ruhig lief, als es in seinem Rücken gekracht hatte. Natürlich
verunglückte der Wurf und der Trainer raunzte ihn auch noch an.
    Vielleicht wurde er langsam zu alt fürs Sportkegeln, überlegte er
jetzt und nahm die Hände vorsichtig wieder runter.
    „Zu viele Kegel geschoben?“, fragte Susanne, der sein schmerzverzerrtes
Gesicht nicht entgangen war.
    „Holz machen, heißt das, Susanne. Holz machen!“, erklärte er genervt.
Es wurmte ihn, dass niemand seinen Sport richtig ernst nahm und somit natürlich
auch die Fachausdrücke nicht kannte. Die meisten hielten ihn für das Mitglied
einer Thekenmannschaft und konnten mit dem Wort „Leistungskegeln“ nichts
anfangen. Er zog einen beleidigten Flunsch und wollte wieder einmal einen
Erklärungsversuch starten. „Weißt du … „, setzte er an.
    Aber Susanne sollte nie erfahren, was er ihr klarmachen wollte, weil
es in diesem Augenblick klopfte und Kriminalrat Steffens in ihr kleines Büro
trat. Seine dunkelbraunen Hosen waren etwas zu kurz und über dem kugeligen
Bauch spannte ein elfenbeinfarbener Pullover.
    „Die vom K 12 haben ein vermisstes Kind“, begann er ohne Umschweife.
„Offensichtlich eine ernste Sache, keine übervorsichtigen oder hysterischen
Eltern. Wir brauchen jetzt alles was Beine hat.“
    „Wie alt?“, fragte Susanne.
    „Sechs.“
    „Oh Scheiße“, murmelte Hellwein und schluckte im letzten Moment jeden
anderen Kommentar hinunter. In der typischen Art der Todesermittler vermutete
er gleich das Schlimmste. Susanne hatte Recht, erkannte er jetzt. Das gute
Gefühl, ein Verbrechen verhindert zu haben, stellte sich in ihrem Dezernat
höchst selten ein.
    „Unterstützen Sie bitte zunächst die Kollegen, die die Bahntrasse am
Südbahnhof absuchen“, sagte Steffens und stemmte die feisten Hände in die
Hüften. „Die Kleine wohnt da in der Nähe. Nach Abschluss des Einsatzes hauen
Sie sich aufs Ohr. Kann sein, das wir ein heißes Wochenende vor uns haben.“

 
    Samstag, 3. November
     
    Es sah wirklich nach einem heißen Wochenende aus, denn in der
Tiefgarage des Präsidiums gab es kaum noch einen Stellplatz. Aber das war
Susanne schon letzte Nacht klar gewesen. Bis zwei Uhr in der Früh suchten sie
die Bahntrassen ab, leuchteten mit starken Lampen in jeden Winkel, hinter jedes
Gebüsch, auf jeden Meter des Gleiskörpers. Immer mit dem beklemmenden Gefühl,
dass ein Kind in den Lichtkegel geraten könnte — besser gesagt, das, was von
einem Menschen übrig blieb, den ein ICE überrollte hatte.
    Mit der Order „Einsatzbesprechung um acht“ brachen sie die Suche
schließlich ab, und Susanne war mit einem unguten Gefühl in der Magengegend
nach Hause gefahren. Wenn eine Sechsjährige aus einem anscheinend intakten
Elternhaus über Nacht verschwunden blieb, bedeutete das selten etwas Gutes.
    Natürlich, immer mal wieder verschwanden Kinder. Die Kleinen hatten
dann mit ihrem Rädchen zum Opa, der in einer anderen Stadt lebte, fahren
wollen. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher