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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss
Autoren: Anna Geller
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herum, alles zu entwickeln
und Abzüge machen zu müssen.
    Karin seufzte auf. Auch die Hochzeit würde vorbei gehen. Sonntag das
Essen mit Achim und Klaus — immerhin ein Silberstreif am Horizont, bevor sie in
der Nacht zu Montag die ersten Aufnahmen für einen Industriekonzern in
Wesseling machen musste. Fabrikschlote in der Dunkelheit kamen immer gut, von
Scheinwerfern angestrahlte Rohrsysteme, scheinbar bis in den Himmel ragende
Schornsteine, an denen Positionslichter blinkten. Sicher auch nicht das, wovon
man als Fotografin träumte, aber zumindest würde es jede Menge Geld einbringen.
    Dann konnte sie sich vielleicht bald noch einmal ein paar Tage
irgendwo gönnen. So wie ihr Ausflug nach Holstein. Damit hatte sie sich
sozusagen selbst ein verspätetes Geburtstagsgeschenk gemacht. Endlich mal wieder
Schönheit und Unberührtheit sehen, riechen, fotografieren. Einige Abzüge ließen
sich mit Sicherheit verkaufen. Bildkalender waren zurzeit der große Renner, und
sämtliche Verlage rissen sich um Naturaufnahmen.
    Karin gähnte so herzhaft, dass die Kieferknochen knackten. Erst mal
musste sie jetzt ausschlafen. Und nach einem ausgiebigen Frühstück im Bett mit
leiser Musik und der Tageszeitung, würde sie die Hochzeit und die Schornsteine
schon überleben. Ganz sicher.

Sechs
     
    Chris fühlte
sich plötzlich unendlich schwach, und die Erschöpfung von vorhin brach sich
erneut Bahn.
    Schweigend ging Anne um den Schreibtisch herum, zog eine Schublade auf
und kramte eine Flasche hervor. Dann goss sie fingerbreit goldfarbene
Flüssigkeit in einen angeschlagenen Kaffeebecher.
    „Hier, trink! Auf ex!“ Sie hielt Chris den Becher hin und strich ihm
mit der anderen Hand über seine schon wieder stoppelige Wange. „Sie hatte
innere Verletzungen. Sie…“
    „Ich hätte sie nicht hochheben sollen“, unterbrach er sie tonlos. „Ich
hätte …“
    „Wo hast du sie gefunden?“
    „Hünefeldstraße. Und mein Handy schlummert mal wieder zu Hause.“
    „Dann warst du mit Sicherheit schneller als jeder Notarzt. Wir hatten
nicht einmal mehr Zeit, sie aufzumachen.“
    Aufmachen! Das klang, als ob man zum Abendbrot ein Glas Gurken
öffnete. Chris trank den Becher in einem Zug leer. Heiß breitete sich der
Whisky in seinem Magen aus, und es gelang ihm, sich gedanklich von dem
Gurkenglas zu lösen.
    „Hast du schon die Polizei …?“
    Anne schüttelte den Kopf. „Das wollte ich dir überlassen.“
    „Gut! Ich rufe Susanne an.“
    Anne verdrehte die Augen. Draußen auf dem Flur quietschten wieder die
Gummisohlen vorbei.
    „Ich weiß, dass du sie nicht ausstehen kannst“, sagte Chris, während
er unter den Papierstapeln nach dem Telefon fahndete. „Aber sie ist eine
verdammt gute Polizistin!“
    „Die Haare auf den Zähnen hat, wie eine Schlampe rumläuft und ihre
Jungfräulichkeit wahrscheinlich mit ins Grab nimmt!“, giftete Anne.
    „Ihr Mann war auch Polizist und ist bei einem Einsatz erschossen
worden“, setzte Chris zu einer matten Verteidigung an. Er war zwar mit Susanne
befreundet, musste aber zugeben, dass die Klagen von Anne, abgesehen von der
Jungfräulichkeit, nicht ganz unberechtigt waren.
    „Kein Grund, alles, was auch nur annähernd nach zwischenmenschlichen
Beziehungen aussieht, bis ans Lebensende zu hassen!“
    „Ich fürchte, sie hasst nur sich selbst. Alles andere resultiert
daraus“, antwortete er. Seine Suche war erfolgreich gewesen, und er wählte
jetzt entschlossen Susannes Privatnummer. Wozu den Notruf in Anspruch nehmen?
Tot war das arme Ding allemal. Dass Susanne eigentlich dienstfrei hatte, wusste
Chris. Ihren und Annes Dienstplan hatte er im Kopf. Immer.
    Das Gespräch war kurz. Sobald Susanne ihm dafür wach genug erschien,
schilderte Chris die Fakten. Sie antwortete nur mit einem „Zwanzig Minuten“ und
legte auf.
    Eine Weile saß Chris mit dem Hörer in der Hand da und stierte auf die
Unterlagen vor sich. Wenn er vielleicht doch einen Notarzt …
    Er straffte sich und sah seine Ex von unten herauf an. „Wer tut so
was, Anne? Wer geht so mit einem anderen Menschen um?“
    Anne zuckte die Achseln. „Ich hab keinen blassen Schimmer. Aber ich
fürchte, es gibt mehr solcher Fälle, als selbst dir in deinem Job begegnen. Was
meinst du, wie viele Frauen hier auftauchen, die eine gewaltige Tracht Prügel
bekommen haben und behaupten, sie wären die Treppe runtergefallen.“
    „Das hier ist was anderes, Anne, das spür ich bis in die
Zehenspitzen.“ Er setzte die unschuldigste Miene
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