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Feenland

Feenland

Titel: Feenland
Autoren: Paul J. McAuley
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Hochhäuser hatte Alex immer Angst,
ausgeschlossen zu werden, hinten zu bleiben – er war schon
damals füllig, obwohl er genauso schnell rennen konnte wie die
meisten anderen Kids und beim Zweikampf fast alle unterkriegte. Sein
Gewicht verschaffte ihm damals Ansehen – daran denkt er immer
noch gern zurück. Er erinnert sich an das einzige Mädchen,
das allen davonflitzte, an die lange, X-beinige Najma mit dem dicken
schwarzen Zopf, der nach hinten abstand, wenn sie wie ein Pfeil
dahinschoß. Fort. Weggezogen. Die ganze Familie erwischt bei
einer Repatriierungsaktion und zurückgeschickt nach Indien,
obwohl sie alle hier geboren waren. Wie Najma heute wohl lebt –
wenn sie noch lebt? Eigentlich sollte er dankbar sein, daß ihn
das Schicksal besser behandelt hat.
    All das geht ihm durch den Kopf, während er verkehrsreiche
Straßen unterquert und ein zertrampeltes Stück Wiese
zwischen den Tiefgaragen-Einfahrten der Wohnsilos entlanggeht, wo die
Kids zwischen ausgebrannten Autowracks Fußball spielen –
so viele verlassene Autos, daß es fast nach Parkplatz aussieht.
Der pyramidengekrönte Monolith von Canary Wharf verschwindet
hinter den Hochhäusern und taucht wieder auf. Die Sonne brennt
Alex auf den Kopf, und die Hitze unter seinem schwarzen Hut wird
unerträglich.
    Er hat seine Schrecksekunde in der vergammelten Gasse, die an
einem Schrottplatz unter der Ausleger-Brücke der Docklands Line
vorbeiführt, aber die beiden Gestalten am anderen Ende des
Durchgangs sind nur ein Crack-Dealer und einer seiner Kuriere. Alex
kennt den Dealer flüchtig, einen muskelbepackten Nigerianer, der
Tag und Nacht seinen Sonnenschild trägt. Er hat sich einen
Baseball-Schläger unter den Arm geklemmt, als schlagendes
Argument für streitsüchtige Kunden. Der Dealer nickt Alex
lässig zu, fragt, wie es so geht und ob er immer noch diesen
komischen Shit herstellt.
    »Warum, willst du was für mich verhökern?«
    »He, Mann, da ist doch null Gewinnspanne drin! Meine Kunden
wissen genau, was sie wollen. Da solltest du einsteigen, Mann, aber
echt! Du spezialisierst dich auf STP, [i] ich bring’s unter die Leute – kein Problem. Du hast
immerhin für den Zauberer gearbeitet, Mann. So was zieht bei den
Abnehmern. Die schätzen einen guten Stammbaum.«
    Sie haben dieses Thema schon öfter durchgekaut, aber Alex ist
weder bescheuert noch verzweifelt genug, um sich auf diese Art von
Deal einzulassen. Bis jetzt zumindest nicht. Er schiebt sich an dem
Dealer vorbei und meint: »Die Industrie-Chemie ist nun mal nicht
mein Ding!«
    »Überleg’s dir noch mal, Mann!« rät ihm
der Dealer gönnerhaft. »Wär zumindest eine sichere
Sache. Soviel ich höre, kommt dieses irre Zeugs, das du
zusammenkochst, in nächster Zeit sowieso auf die Verbotsliste.
Aber ich muß jetzt los, Mann, die Leute haben Feierabend und
brauchen ihren Fix. Bis später, eh?«
    Hinter der Hochbahn taucht die Rückfront der vergammelten
Werkstatt-Hallen auf, in denen Alex Unterschlupf gefunden hat, ein
halbes Dutzend in einer Reihe, überragt von der
ausgeschlachteten Ruine eines Spielzeugstadt-Büroblocks aus den
achtziger Jahren, gelber Backstein, die blauen und roten
Kunststoffrahmen verblaßt und gebrochen, die Scheiben samt und
sonders eingeworfen. Unkraut bahnt sich seinen Weg durch den Teer der
Zufahrtsstraße, und auf den Flachdächern haben sich
Buddleia-Sträucher angesiedelt. Der scharfe Geruch von
Lösungsmitteln aus dem Chip-Montage-Schuppen am Ende der Gasse
steigt ihm in die Nase. Frank, der kauzige Alte, der gebrauchte
Büromöbel verkauft, sitzt auf einem schwarzen
Leder-Drehstuhl in der Sonne und nickt ihm zu. Alex denkt, daß
er nicht mehr als zehn Worte mit Frank gewechselt hat, obwohl sie
seit drei Monaten Nachbarn sind. Von der anderen Seite dringt der
eifrig summende Chor von Malik Alis Industrie-Nähmaschinen
herüber: Drei der Hallen sind von Bangladeschi besetzt, die ihr
Geld im Altkleiderhandel verdienen.
    Wieder ein mulmiges Gefühl, als Alex die kleine Tür im
hohen Doppeltor vor seinem Hallenteil öffnet – jemand
könnte im Dunkel auf ihn warten – aber dann schaltet er die
Neonlichter ein, und natürlich ist keiner da. Er wirft sich zur
Beruhigung zwei Tabletten Cool-Z ein und spült mit dem
Tages-Karton Pisant nach, diesem Orangen-Zimt-Gesöff, das er in
einer Verkaufs-Arkade an der Tottenham Court Road entdeckte. Pisant
war etwa eine Woche lang der Renner im rasant wechselnden Angebot der
Novitäten-Haie, vermutlich des exotischen
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