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Feenland

Feenland

Titel: Feenland
Autoren: Paul J. McAuley
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Profil ist
unbewegt. Nur die Augen wandern umher. Dunkle, feuchtschimmernde,
traurige Augen, als ahnte es, daß tief im Innern seiner Zellen
nichts so ist, wie es sein sollte, als wüßte es um die ihm
auferlegte Last der Sünde.
    Alex tut das Püppchen leid – verstoßen aus der
Natur, betäubt durch die Gewalt, die seinem Genom angetan wurde.
Ein elendes Geschöpf, denkt er, und der schlagende Beweis
für seine These, daß es keinen Sinn hat, höher
entwickelte Organismen als Hefe gentechnisch zu verändern, denn
je komplexer das Lebewesen, desto unberechenbarer die
Nebenwirkungen.
    Alex steckt sich noch eine Zigarette an und sieht wieder nach der
Zeit. Er hat das unbehagliche Gefühl, daß ihm die Dinge
entgleiten. Rechtzeitig da sein und dann warten zu müssen, war
ihm schon immer verhaßt. Er hat sich eigens für diesen
Anlaß des pünktlichen Erscheinens eine Uhr gekauft, und
nun bringt sie nichts, außer daß sie seine
Nervosität steigert. Es ist ein Stück, das man einstampfen
und wiederverwerten kann, polnischer Straßen-Ramsch, der ihn
weniger als ein Espresso gekostet hat, ein Hexagon aus klarlackierter
Holzfaser mit aufgedampfter Grafik und orangefarbenem Stoffband. Die
Zeiger werden von dem schwachen myoelektrischen Feld seiner
Handgelenk-Muskeln angetrieben – ein Parasit, der die Zeit
bindet. Auf dem Zifferblatt ist ein schwarzer Adler abgebildet, der
die Schwingen spreizt und Feuer spuckt, wenn Alex die Uhr schräg
hält, um die Zeit abzulesen. Die Zeiger sind schwarze Splitter,
angetrieben von dem gleichen Chip, der den Adler bewegt. Der
Grafikfilm schrumpelt bereits; der Adler hat einen gebrochenen
Flügel, und der Stundenzeiger ist geknickt. Es ist achtzehn
Minuten nach drei.
    Alex hatte früher mal eine echt antike Rolex aus rostfreiem
Stahl – mitsamt Zertifikat, aus dem hervorging, daß die
Zwiebel 1967 in der Schweiz gefertigt worden war. Sie stammte vom
Zauberer – der Zauberer hatte ihm oft solche Sachen geschenkt,
damals, als Alex noch sein hellster und geschicktester Lehrling war.
Aber Alex vermißte die Rolex, seit sie ihn zusammen mit dem
Zauberer und dem Rest der Mannschaft hochgenommen hatten. Entweder
war sie bei den Bullen hängengeblieben oder bei einem dieser
halbwüchsigen Arschlöcher, die sich Lexis ins Bett holte.
Alex verlor damals noch sehr viel mehr als die Uhr, und das ist einer
der Gründe, weshalb er bei Billy Rock in der Kreide steht und
riskante, verzweifelte Deals mit zweitrangigen indonesischen
Diplomaten macht.
    Achtundzwanzig Minuten nach drei. Scheiße. Alex winkt dem
Ober und bestellt noch einen Espresso, langsam und deutlich, weil der
hochgewachsene, silberhaarige Mann ein albanischer Flüchtling
ist, der zur englischen Sprache kein vertrautes Verhältnis
hat.
    Es ist zwanzig vor vier, eine Durchsage hat die Passagiere des
Trans-Europa-Expreß zum Einsteigen aufgefordert, und
allmählich leert sich der Raum, als der Ober Alex seinen
Espresso bringt. Alex zahlt mit einer Kreditkarte, die nicht seinen
Namen trägt, kippt den Kaffee und schlendert auf die Frau mit
dem angeketteten Schoßpüppchen zu. Er bleibt stehen und
starrt sie an. Es ist albern, und er weiß, daß es ihm
nichts bringt, aber er kann nicht anders.
    Als sie endlich aufschaut, eine gebräunte Frau um die
vierzig, mit der gewissen Straffheit um Kinn und Hals, die auf ein
Facelifting schließen läßt, sagt Alex: »Mir ist
eben erst klar geworden, wer das Tier am Ende der Leine ist. Es
läßt sich gerade mit Campari vollaufen.« Damit geht
er, mitten durch zwei Geister-Damen in Wespentaillen-Kostümen,
die sich in einem Geflitter von gebrochenem Laserlicht
auflösen.
    Über Gilbert Scotts breite, geschwungene Treppe begibt sich
Alex in das geschäftige Treiben des Foyers. Er schüttelt
seinen schwarzen, breitkrempigen Hut aus (yeah, Oscar Wilde!),
klatscht ihn sich aufs Haupt und macht auf lässig, trotz des
säuerlichen Klumpens, der ihm den Magen zusammenzieht. Ein
Türsteher in pflaumenblauer Livree und Zylinder öffnet das
Spiegelglas-Portal, und Alex tritt hinaus in bronzenes Sonnenlicht
und den Lärm des Verkehrs, der die Euston Road entlangtobt.
    Im Norden brauen sich schwarze Regenwolken zusammen, strömen
geballt heran wie im Zeitraffer. Die Luft wirkt aufgeladen; die Leute
gehen schneller, trotz der lastenden Hitze. Jeder zweite trägt
einen Schirm. Es ist Monsunwetter.
    Alex nimmt die Fußgänger-Unterführung zum Bahnhof
King’s Cross. Ein paar Telefonkabinen stehen am Rand
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