Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feenland

Feenland

Titel: Feenland
Autoren: Paul J. McAuley
Vom Netzwerk:
Mann hin. »Vor einer Viertelstunde
wäre ich um ein Haar ein reicher Mann gewesen. Ich sag dir eins:
Trau niemals einem Bullen!«
    Der Penner starrt das Kästchen an, das Ähnlichkeit mit
einem mattschwarzen Mini-CD-Player hat, und sagt: »He, glaubst
du, ich will tanzen?«
    Aber er greift danach, und das reicht. Der Kontakt mit unbekannten
Fingerabdrücken aktiviert die Selbstmord-Sequenz, und Sekunden
später wird das Kästchen seinen Inhalt erhitzen und
zerstören.
    Alex rennt bereits weiter. Der Regen trommelt auf dem hohen
Glasdach wie die ungeduldigen Finger Gottes – taramm –
taramm. Er drängt sich durch eine Schlange von
Fahrgästen, die auf einen der neuen strahlungssicheren Züge
nach Schottland warten, und nimmt die Treppe zur U-Bahn-Station. Er
macht sich nicht die Mühe, mit einem der vielen Anbieter um eine
Secondhand-Zonenkarte zu feilschen, sondern wirft eine
Fünf-Pfund-Münze in den Automaten, packt sein Ticket und
hastet die Rolltreppen hinunter in die gefliesten Korridore.
Ozonbeladener Wind schmirgelt ihm die Kehle, während er
dahinrennt, ein übergewichtiger junger Mann in einem schrillen,
grünkarierten Anzug, der ihm eine Nummer zu klein ist, das
Gesicht rosig wie ein gehäuteter Seehund, den breiten schwarzen
Hut am Kopf festhaltend, angestrengt bemüht, so schnell wie
möglich von hier zu verschwinden.

 
2    Home Run
     
     
    Als Alex Sharkey endlich eine Halteschlaufe in der klapprigen
alten Metropolitan Line zu fassen bekommt, muß er erst mal eine
Weile verschnaufen. Schweiß tränkt sein Hemd; er
spürt, wie sich das knotige Material am Rücken festklebt
und wieder löst, während der Zug durch das Dunkel rattert.
Das Abteil ist überfüllt, und Alex wird gegen eine der
Türen gepreßt. Das Warnschild über seinem Kopf
lautet: Ausgänge bitte von Hindernissen freihalten. Ein
Witzbold hat die ›Hindernisse‹ zu ›Kinderpisse‹ umgestaltet. Dem Gestank nach ist die
Mahnung berechtigt.
    Alex steigt in Whitechapel um. Er nimmt die East London Line
für die kurze Strecke rüber nach Shadwell, geht die Treppe
hoch und wartet ewig auf dem nassen, windigen Bahnsteig, bis einer
der kleinen Dockland-Züge einfährt. Seit dem Bombenanschlag
der Radikalen Monarchisten-Liga auf die Jubilee-Verbindung ist die
Fahrt zwischen Zentrum und East End wieder sehr umständlich
geworden.
    Vorne im Abteil beugt sich ein Anzug-Typ in mittleren Jahren
über einen Bookman; vermutlich ein Journalist. Abgerackerte
Frauen aus dem East End sitzen auf den Bänken, ihre
Einkaufstüten zwischen den Knien. Ein halbwüchsiger
Schwarzer, die Kapuze seines Ponchos hochgezogen und die obere
Gesichtshälfte von einer riesigen Spiegelbrille verdeckt,
führt ein endloses Handy-Gespräch. Hin und wieder legt er
einen Arm über die Sitzlehne und dreht sich zu Alex um;
vielleicht hält ihn der Junge für einen Bullen.
    Alex muß lachen, ein kleines, halbersticktes Kichern, das
ihn am ganzen Körper zittern läßt. Heiland, wenn das
Kerlchen ahnte, wie tief er in der Scheiße steckt! Er
weiß nicht einmal, ob es sicher ist, jetzt seine Wohnung
aufzusuchen, aber wohin soll er sonst gehen? Leroy wird nicht
begeistert sein, wenn er ihm Theater in die Bude bringt, und seine
Mutter will er nicht noch einmal in seine Geschäfte
hineinziehen. Als die Polizei den Zauberer hochnahm, schlug ein
bewaffnetes Kommando die Wohnungstür von Lexis mit einem
Preßlufthammer ein.
    Alex steigt an der Westferry-Station aus. Es hat zu regnen
aufgehört. Grelles Sonnenlicht erhitzt die Luft. Vom Asphalt
steigt Dampf auf. Der Geruch erinnert an frischgebackenes Brot.
Überall zersplittern Wasserfilme das Licht. Moskitos surren, und
obwohl er gegen Gelbfieber und Malaria und Schwarzwasserfieber
geimpft ist, zieht Alex den Schleier seines großen Schlapphuts
nach unten.
    Er erinnert sich an die Jahre kurz nach dem großen
Vogelsterben, an die Heuschrecken-, Blattlaus-, Ameisen- und
Fliegenplagen, an die Nahrungsmittel-Knappheit und die langen
Warteschlangen vor den Supermärkten. An die kleine,
geschützte Welt, die Lexis damals für sich und ihn
errichtete – er muß sie endlich wieder mal besuchen, wenn
das hier vorbei ist, wenn er sie nicht mehr in Gefahr bringt. Sie
kommt gut zurecht, und ihr derzeitiger Freund ist jünger als
Alex, verdammt noch mal. Sobald die Sache hier ausgestanden ist, wird
er sie besuchen. Er schickt diesen Vorsatz nach oben wie ein Gebet.
Daheim, sicher und frei. Beim Fangenspielen in den
Treppenschächten der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher