Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss
Autoren: Sunil Mann
Vom Netzwerk:
unsanft um und rissen sie langsam in Stücke.
    »Und dann ließ der dicke Chinese plötzlich sein Glas fallen. Es war, als wäre der Bann gebrochen. Alle zuckten zusammen, und ich sprang, ohne zu überlegen, zur Tür, riss sie auf und rannte, wie ich noch nie in meinem Leben gerannt bin.«

Montag
    Sechs Tage zuvor beobachtete ich, wie sich eine Kakerlake vergeblich anstrengte, mein brandneues Handy zu besteigen. Das Telefon war mir von einem äußerst freundlichen Verkäufer mit gelgetränkter Igelfrisur aufgeschwatzt worden und verfügte über unvorstellbar viele Funktionen, die dem durchschnittlichen Benutzer das Gefühl geben sollten, dass es sich hierbei mindestens um die Fernsteuerung eines Raumschiffes handelte. Die Kakerlake versuchte hartnäckig, mit ihren dürren Beinchen Halt auf der glatten Oberfläche zu finden, bis ich sie zwischen Daumen und Zeigefinger klemmte, mich kurz an ihrem verzweifelten Gezappel ergötzte und daran dachte, dass sie in gewissen Ländern als Delikatesse gehandelt wurde, den darauf folgenden Gedanken trotz meines knurrenden Magens im Keim erstickte und sie aus dem Fenster hinter mir warf, das der ungewohnten Hitze wegen weit offen stand. Ein Jahrhundertherbst, unkten die Meteorologen im Fernsehen, aber da das Wort ›Jahrhundert‹ in den letzten Jahren im Zusammenhang mit ungewöhnlichem Wetterverhalten beinahe inflationär benutzt wurde, war man allgemein wenig beeindruckt und genoss die warmen Septembertage, ohne sich allzu viele Gedanken dazu zu machen. Jedenfalls ich. Ich hatte ganz andere Probleme.
    Vorsichtig hob ich das Telefon hoch und drückte die grüne Taste. Der Signalton erklang auf der Stelle, das Telefon schien tadellos zu funktionieren. Drei Tage waren jetzt vergangen, und es hatte keinen einzigen eingehenden Anruf vermeldet. Diejenigen meiner Mutter ausgenommen. Ich seufzte, lehnte mich in meinem im Brockenhaus erstandenen Bürosessel zurück und starrte an die Decke. Sie war übersät von bräunlichen Wasserflecken und erinnerte an ein T-Shirt aus dem Anfängerkurs für Batik. Seit sechs Jahren wohnte ich jetzt schon in dieser Wohnung an der Dienerstrasse in Zürichs Kreis 4 und hatte mich längst an ihre Mängel, die damals in der Anzeige mit charmanter Altbau im Originalzustand umschrieben worden waren, gewöhnt. Dafür war die Miete akzeptabel und meine Nachbarschaft störte sich nicht daran, wenn ich nachts lautstark Musik laufen ließ. Vielleicht auch deshalb, weil sie sie in dem ganzen Lärm, den sie selbst veranstaltete, gar nicht hörte.
     
    Nachdem ich endlich im Besitz meiner Lizenz war, hatte ich mein Wohnzimmer stilsicher in eine Art Büro umgewandelt. Das heißt, das abgewetzte Sofa stand jetzt direkt neben der Wohnungstür, falls ein unvorhergesehener Andrang meine Klienten zwingen würde zu warten. Davor ein niedriger Tisch mit ein paar zerfledderten Illustrierten. Den Fernseher hatte ich ins Schlafzimmer verbannt, das sich im zweiten Raum meiner Zweizimmerwohnung befand, er schuf Platz für einen großen, dunklen Schreibtisch, denn ein großer, dunkler Schreibtisch ist zusammen mit schräg gestellten Jalousien das A und O jedes Detektivbüros, das weiß jeder, der ab und zu fernsieht. Dazu gab es einen Gummibaum und irgendeine Pflanze mit elliptischen Blättern, die gelb umrandet waren. Ich fand sie hübsch und sie war billig gewesen − was absolut nichts mit meinem Frauengeschmack zu tun hatte.
    Direkt gegenüber dem Sofa stand eine indische Truhe, dunkles Tropenholz mit verschnörkelten Schnitzereien, Kolonialkitsch, aber ich konnte mir vorstellen, dass gewisse Leute darauf abfuhren. Ein paar Halter für Räucherstäbchen vervollständigten zusammen mit einer handgroßen, rosafarbenen Ganesha-Statue, dem hinduistischen Gott mit dem hässlichen Elefantenkopf, die Ethnoecke. Ich wollte es nicht übertreiben, aber schließlich muss man sich irgendwie von der Konkurrenz abheben.
    Am meisten mit Stolz erfüllte mich aber mein Namensschild, das unten bei der Klingel neben dem Hauseingang hing und dann noch einmal im dritten Stock an der Wohnungstür. V. J. Kumar, Privatermittlungen, stand da in schwarzen Lettern auf einer brandneuen, blank polierten Messingplakette eingraviert, die sich wie ein Goldfisch im Haifischbecken von den anderen Namensschildern und den dazugehörigen Klingelknöpfen abhob, die geschwärzt von den Abgasen des Durchgangsverkehrs und dem häufigen Gebrauch durch denselben beinahe unleserlich geworden waren. Meinen etwas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher