Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss
Autoren: Sunil Mann
Vom Netzwerk:
Elfenbein und machte ein beeindrucktes Gesicht. Das Wohnzimmer sah aus, als hätte sie einen Souvenirladen in Mumbais Touristenmeile komplett ausgeraubt und das Diebesgut auf der Flucht vor der Geschmackspolizei eiligst in ihrem Wohnzimmer verstauen müssen. Auf dem Boden überlappten sich Orientteppiche in wilden Farbmischungen, darauf lagen massenweise verzierte Kissen, Seidentücher mit goldbestickten Borten hingen an den Wänden, in einer Ecke thronte im Schein flackernder Kerzen eine Nachbildung des Taj Mahal aus weißem Marmor, Statuen von mindestens dreitausend indischen Gottheiten aus Holz und Stein, und ein paar besonders farbenfrohe aus Plastik türmten sich auf einem dunklen Gestell zu meiner Linken, daneben befand sich ein buddhistischer Altar samt bronzenem Gong.
    Ich schloss kurz die Augen, doch hinter meinen Lidern tanzten die Farben weiter, eine Orgie aus Gold, Orange, Hellblau, Safrangelb, Tannengrün und Purpurrot.
    Räucherstäbchen qualmten mir die Atemluft weg und tauchten den ganzen Raum in ein nebliges Licht, als fände gleich ein Auftritt von Siegfried & Roy statt. Vor den raumhohen Fenstern standen Tablas in drei verschiedenen Größen, daneben lag ein Sitar. Das Einzige, was fehlte, war ein umtriebiger Verkäufer mit betelroten Zähnen und einem halbblinden Auge, der händereibend um mich herumscharwenzelte. Vorsichtig blickte ich mich um, ob nicht doch noch einer hinter einem bestickten Lederhocker hervorhüpfte.
    »Sind Sie Türke?«, fragte Babsi.
    »Inder.«
    »Ach sooo!« Sie dehnte das ›o‹ so lange, bis es in einem heiseren Knurren versickerte.
    »Namaste!«, sagte sie und sah mich dabei erwartungsvoll an, als erwarte sie, dass ich jetzt aufspränge und im Bollywoodstil zu tanzen begänne, mit dem Kopf wackeln oder ein paar lustige Grimassen schneiden würde. Ich tat ihr den Gefallen nicht. Sie starrte mich weiterhin an.
    »Sie sind groß für einen Inder«, sagte sie nach einer Weile und ihr Blick glitt unverschämt langsam über meinen Körper.
    »Das Schweizer Essen wahrscheinlich.« Ich grinste und hoffte, dass sie das lustig fände. Tat sie nicht. Sie hielt inne und legte den Kopf schief, als wäre da noch ein Rest Badewasser in ihrem Ohr. Die Stille wurde drückend. »Ich hätte immer gern indisch kochen gelernt«, sagte sie plötzlich im weinerlichen Tonfall eines Schulmädchens, dem man das ausdrücklich verboten hatte.
    »Sie mögen Indien«, bemerkte ich wenig einfallsreich. Babsi blickte sich in dem Raum um, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
    »Alles aus Colaba!«, sagte sie dann stolz.
    »Hätte ich nicht gedacht.«
    »Indien ist mein zweites Zuhause.« Sie nickte zur Bekräftigung. »Eigentlich mein erstes. Nur dort kann ich sein, wer ich wirklich bin.«
    Ich lächelte diplomatisch und versuchte, die Bilder von meinem letzten Zwischenstopp in Goa zu verdrängen. Doch die Diashow in meinem Kopf lief bereits, und sie tauchten wieder vor mir auf, die mittelalten, mittelwohlhabenden, mittelfrustrierten, mittelausgebrannten, mitteleuropäischen Frauen und Männer, die sich in quietschbunter Piratenkleidung, die sie aus irgendeinem irrigen Grund für indisch hielten, am Strand die Ödnis aus der Seele trommelten, tanzten, rauchten. Die fasteten, sangen, meditierten, sich Darm und Stirnhöhlen mit heißem Öl ausspülen ließen und nachts auf harten Pritschen schliefen, nur um zurück im Büro ihrem Chef den Kaffee mit ein wenig mehr Selbstachtung bringen zu können.
    »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
    Ich knipste die Diashow aus und bejahte. Während sie in der Küche verschwand, um irgendwelche Yogitees aufzugießen, sah ich mich nach einem Sofa um. Ich fand keins. Vielleicht entdeckte ich es aber in dem ganzen Kram auch einfach nicht. Was mir hingegen auffiel, war eine schwere Truhe aus dunklem Holz, die mit filigranen Schnitzereien verziert war. Auf dem Deckel ausgebreitet lag ein Seidentuch in leuchtenden Rottönen, darauf standen etliche Fotorahmen, goldene Schallplattenauszeichnungen, Preise, die sie für ihr Schaffen erhalten hatte in Form von Urkunden und Trophäen. Endlich wusste ich, weshalb sie mir auf Anhieb so bekannt vorgekommen war. Ich griff nach einem Foto. Obwohl es schwarz-weiß war und die Jahre im Räucherstäbchendunst mehr schlecht als recht überstanden hatte, war es unübersehbar: Sie war einmal wirklich schön gewesen. Eine Frau mit Stil. Babsi National, so ihr Übername, das wohl berühmteste Schweizer Fotomodell. Daneben war sie ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher