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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss
Autoren: Sunil Mann
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ohrfeigen können. Mein erster Fall sollte also die Suche nach einer dämlichen Katze sein. Ich sah mich bereits auf Bäume steigen, Nachbarn befragen, in Straßengräben rumstochern und Tierheime abklappern.
    »Wann …?«
    »Wann ich sie zum letzten Mal gesehen habe?« Sie musterte mich kühl, als traute sie mir plötzlich nicht mehr zu, das Viech zu finden.
    »Genau.«
    Sie setzte sich wieder und schenkte sich einen weiteren Likör ein, den sie wie die vorherigen unverzüglich ihrem Körper zuführte. Dann drückte sie Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand gegen ihre Stirn und schien zu überlegen. Ich wartete. Die hysterische Inderin war zum Schweigen gebracht worden, jetzt waren nur noch Tablas zu hören, leise und in einem scheinbar willkürlich geschlagenen, einlullenden Rhythmus. Sie senkte die Hand und starrte wie in Trance vor sich hin. Die Zeit schien den Atem anzuhalten. Staubpartikel tanzten im bronzefarbenen Licht der letzten Sonnenstrahlen. Ich räusperte mich, sie verharrte reglos, und in Schanghai wurden zwei Wolkenkratzer gebaut. Draußen fuhr irgendwann ein Auto vorbei. Meine Geduld neigte sich ihrem Ende zu. »Wann haben Sie Ihre Katze zuletzt gesehen, Frau Georget?«
    Unvermittelt hob sie den Kopf und blickte mich direkt an. Ihre Augen verzogen sich wohlig zu schmalen Schlitzen, wie bei einer Mieze auf der warmen Ofenbank. Dann wanderte ihre Hand zielstrebig unter eine der unzähligen Falten ihres Kleides, und plötzlich lag ein Teil ihres Schenkels frei. Die Hand glitt aufreizend langsam über das schlaffe Fleisch. Ich musste unwillkürlich an Hefeteig denken. Sie seufzte lasziv und streichelte ihre großen, weinschlauchartigen Brüste. Ich griff zum Glas und kippte es auf ex. »Ihre Pussy … ehm … Katze!«
    Sie zuckte zusammen, bedeckte ihren Oberschenkel mit einem Stoffzipfel und warf mir einen giftigen Blick zu. »Sie ist weg.«
    »Seit wann?«
    »Heute Morgen.«
    »Passiert das oft?«
    »Zum ersten Mal.«
    Ich nannte meinen Preis, bat um ein Foto von Marie Antoinette, erhob mich und wandte mich zur Tür.
    »Finden Sie sie, bitte! Sie ist alles, was ich habe.« Sie warf sich in dramatische Pose. Exmodel, das Beinaheschauspielerin gewesen war. Dem Beinahe machte sie alle Ehre. Immerhin brachte sie eine Träne zustande, die ihr jetzt über die Pausbacke kullerte und die Schminke verschmierte.
    Ich wischte ihr die Träne mit dem Daumen weg und tätschelte ihre Wange. »Keine Sorge, Marie Antoinette ist bald wieder bei Frauchen.«
    Sie lächelte ein wenig, dann sackte ihr Gesicht in sich zusammen wie ein Käsesoufflé in der Kälte. »Wann kommen Sie wieder?«
    »Sobald ich die Mieze habe.«
    »Ich werde Samosas für Sie backen.«
    Ich lächelte diplomatisch und machte, dass ich rauskam.
     
    Am Gartentor blieb ich stehen. Mein Hemd roch nach Räucherstäbchen und vom Eierlikör war mir merkwürdig in Kopf und Magen. Ich vergewisserte mich, dass ich vom Haus aus nicht beobachtet wurde, und blickte dann nach oben ins Geäst der Linde. Wie erwartet, saß sie dort. Das weiße Wuschelfell war etwas zerzaust, ansonsten sah sie prima aus. Kein bisschen vermisst. Marie Antoinette starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an wie eine Oma in der ersten Lektion ›Internet für Senioren‹ an der Volkshochschule. Ich hatte keine Ahnung, wie ich sie da runterbekommen sollte. »Miez, Miez«, versuchte ich es, doch sie zuckte nur zusammen, duckte sich mit angespannten Muskeln und schien ernsthaft das Weite suchen zu wollen. Ich probierte eine Reihe anderer Lockrufe aus, inklusive »Leckeres Mäuschen findet sein Loch nicht mehr« und »Prall gefülltes Vogelnest«, doch sie blieb da oben sitzen und musterte mich − je länger, desto verächtlicher. Ich versuchte, am Baum hochzuklettern, doch der Stamm war zu glatt und die ersten Äste, an denen ich mich hätte hochhangeln können, waren außer Reichweite. Das Gartentor kam nicht infrage, es war bewehrt mit schmiedeeisernen Speerspitzen, und ich hatte keine Lust, als Satéspießchen zu enden. Ich blickte nach oben und stützte die Fäuste in die Seiten. Langsam ging mir Marie Antoinette auf die Nerven. »Komm runter, du Mistvieh!«
    Sie schien unbeeindruckt. Seelenruhig leckte sie an einer Vorderpfote und fuhr sich damit immer wieder über den Kopf.
    Ich bückte mich und nahm ein paar Kieselsteine in die Hand. Die ersten beiden Würfe verfehlten ihr Ziel, beim dritten traf ich. Marie Antoinette fauchte wütend, gab aber ihre Position nicht auf. Ich
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