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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss
Autoren: Sunil Mann
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zielte erneut, traf, sie fauchte. Wir spielten das etwa sechs Mal durch, dann wurde mein Arm lahm. Ich hatte keine Lust mehr. Das Detektivdasein war noch erniedrigender, als mir das meine Mutter ausgemalt hatte. Doch schließlich saß dort oben meine Miete, und es war mein erster Fall und überhaupt. So schnell wollte ich nicht aufgeben. Ich war Vijay, der Gewinner!
    Suchend sah ich mich nach einem Wurfgeschoss um und riss dann etwas von einem wuchernden, abgestorbenen Gestrüpp, das wahrscheinlich einmal eine Aubergine gewesen war. Auf jeden Fall war es schwer, dunkelviolett und roch faulig. Ich zielte, warf und traf. Diesmal war kein Fauchen zu hören. Marie Antoinette glotzte mich ungläubig an, schwankte auf dem Ast und versuchte noch, sich festzukrallen. Von wegen Katzen landen immer auf allen vieren. Sie plumpste herunter wie eine vollgestopfte Designerhandtasche und blieb reglos auf dem Kiesweg liegen. Vor Entsetzen war ich wie gelähmt.
    »Marie Antoinette!«, krächzte ich mit heiserer Stimme. Immerhin atmete sie noch. Ich kauerte mich nieder und berührte sie vorsichtig. Sie zuckte zusammen und schaute zu mir auf, ihr Gesicht ein einziger Vorwurf. Dann begann sie zu heulen. Es klang wie Babygeschrei und war sicher bis auf die andere Seeseite zu hören. Besorgt blickte ich zum Haus, aber nichts rührte sich. Wahrscheinlich war die hysterische Inderin aus ihrer Teepause zurückgekehrt und beklagte erneut lautstark ihr Schicksal. Gut für mich. Ich packte Marie Antoinette, die jetzt noch lauter schrie, rannte zu meinem Wagen, riss die Beifahrertür auf und deponierte sie auf dem Sitz. Dann hastete ich um den Käfer herum, warf mich hinters Steuer, gab Gas und raste die Seestrasse entlang, als wäre die leibhaftige Göttin Parvati mit ihren Pocken- und Cholera-Verwünschungen hinter mir her.
     
    Eine blau-warme Nacht hängte sich über die Stadt. Von unten und aus dem Treppenhaus war der Durchgangsverkehr zu hören, irgendwo schrie eine Frau zetermordio, auf den Dachterrassen gegenüber blinkten bunte Lichterketten, und junge und jung gebliebene Leute mit verstrubbelten Frisuren grillten Würste und tranken Prosecco.
    Ich strich Marie Antoinette über den Kopf. Sie spielte immer noch ein wenig beleidigt, doch die frische Hühnerleber hatte sie zweifelsohne besänftigt und an den Verband, mit dem ich ihre verstauchte Pfote versorgt hatte, war sie mittlerweile gewöhnt. Jetzt leckte sie sich den letzten Rest verfaulter Aubergine aus dem Fell und machte sich auf meinem Schreibtisch breit. Für mich war das kein Problem, meine Auftragslage erforderte keine freie Arbeitsfläche. Und für ein Glas fand sich immer Platz.
    Ich hob den Deckel meines Ethnoschreins und zog die Flasche Amrut heraus, die ich beim letzten Besuch im Laden meiner Mutter hatte mitgehen lassen. Der Whisky schmeckte großartig. Kein Vergleich zu dem billigen, petrolartig riechenden Fusel, den man in den dubiosen Lokalen Mumbais ausgeschenkt bekam und der so übel war, dass er nicht einmal ausgeführt werden durfte. Ich platzierte Flasche und Füße auf dem Tisch, lehnte mich in meinem Bürostuhl zurück und streichelte Marie Antoinette. Der erste Schluck war Himmel pur, und während das Eis im Glas leise knackste, kam ich mir zum ersten Mal vor wie ein richtiger Detektiv.
     
    Der Abend plätscherte so entspannt vor sich hin wie der Whisky durch meine Kehle. Ich schenkte mir gerade meinen dritten Feierabenddrink ein, als die Türklingel schrillte. Rasch bugsierte ich Marie Antoinette von meinem Schoß auf den Schreibtisch, ignorierte ihren beleidigten Blick und ging zur Tür. Schwungvoll öffnete ich sie, und das blanke Entsetzen fuhr mir in die Glieder. Ich schlug die Tür wieder zu, rannte zurück zum Schreibtisch, packte hastig Flasche, Glas und Marie Antoinette und verstaute alles in der Truhe. Dann atmete ich tief durch und öffnete die Tür erneut.
    »Ich bin hier schon richtig, oder?«
    Das Mädchen oder was immer es sein mochte, war komplett schwarz eingekleidet. Schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarzer Ledergürtel, schwarz angemalte Fingernägel. Sie trug schwarze, kniehohe Lederstiefel, und ihre Haare, ebenfalls schwarz gefärbt, erinnerten an eine zu lang benutzte Zahnbürste. Verziert war das Ganze mit einer Unmenge silberner Ketten, die von ihrem Körper baumelten, eine beträchtliche Menge Metall hatte sie sich zudem ins Gesicht genagelt. Dieses war beängstigend blass, so als gäbe es an dem Ort, wo sie herkam, keine Sonne. Ich
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