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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss
Autoren: Sunil Mann
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umständlichen, aber typisch indischen Vornamen Vijay hatte ich zum international verständlichen Kürzel V. J. zusammengeschrumpft, etwas, das enorm wichtig war in einer von exotischen Namen dominierten Nachbarschaft, die hauptsächlich aus Prostituierten und Dealern bestand. Meiner potenziellen Kundschaft.
    »Hai rabba!«, hatte meine Mutter händeringend gejammert. »Mein Sohn ist nicht nur unnütz, sondern offensichtlich auch noch komplett verrückt geworden. Pagal ho gaya. Hätte ich doch an seiner Stelle eine sanftmütige und folgsame Tochter geboren! Ohne Widerrede hätte die ihre alte Mutter im Haushalt und im Geschäft unterstützt und nach ihrem Schulabschluss hätte man sie dank der soliden Schweizer Ausbildung und ihrer Jungfräulichkeit gewinnbringend mit einem jungen Mann aus Mumbais besseren Kreisen verheiraten können. Das wäre dann der ganzen Familie zugutegekommen. Aber der! Da zahlt sich keine einzige investierte Rupie aus!«
    Sie fixierte mich mit diesem Blick, den sie indischen Frauen schon im Kindesalter beibringen und den jede von ihnen perfekt beherrscht: eine Mischung aus Vorwurf, unbeschreiblichem Seelenleid und einer üppigen Portion Melodramatik. Ich kriegte auf der Stelle ein schlechtes Gewissen, dieser Blick verfehlte seine Wirkung nie.
    Vijay bedeutete ›der Sieger‹, und ein Sieger wollte ich auch sein. Ich war gerade dreißig geworden, hatte ein wenig studiert, war ein wenig herumgereist und hatte meinen Vater und meine Mutter, die vor mehr als drei Jahrzehnten in die Schweiz gekommen waren und sich mühsam eine eigene Existenz aufgebaut hatten, damit beinahe zur Verzweiflung getrieben. Doch jetzt hatte ich nach dem erfolgreich absolvierten Fernkurs immerhin eine abgeschlossene Ausbildung als Privatdetektiv vorzuweisen und war selbstständig.
    Zumindest momentan.
    Noch war ich nicht ganz so erfolgreich, wie mein Businessplan es vorsah, doch wenn ich auf mein Bankkonto schielte, würde ich noch mindestens zwei Wochen auf eigenen Beinen stehen können, wenn ich eine Mahlzeit am Tag ausließ und eine andere in flüssiger Form zu mir nahm. Und ich war bereit, noch viel mehr tun, damit das Geld länger reichte. Denn das Letzte, was ich wollte, war, zurück in den Laden meiner Mutter zu gehen, um dort hinter dem Tresen zu stehen und im Dunst der ständig brodelnden Pfannen ihre selbst gebackenen Samosas zu verkaufen.
     
    Ich schlug die Zeitung auf, die ich vor mir auf dem Tisch liegen hatte. Es war eine dieser Gratiszeitungen, wie sie einem am Bahnhof von bereits frühmorgens beängstigend gut gelaunten Studenten aufgedrängt wurden. Auf die Titelseite hatte es ein junger Mann geschafft, besser gesagt seine übel zugerichtete Leiche, die man in der Limmat gefunden hatte. Noch stand die Polizei vor einem Rätsel, weder Identität noch Todesursache waren geklärt. Das Foto über dem kurzen Bericht zeigte eine wenig geglückte Aufnahme eines Mitarbeiters des Elektrizitätswerks Letten, der mit betrübter Miene und ausgestrecktem Arm auf die Rechenanlage zeigte, wo die Leiche zusammen mit benutzten Kondomen und leeren PET-Flaschen angeschwemmt worden war. Rasch blätterte ich weiter und betrachtete im Anzeigenteil nicht ohne Stolz das Inserat. V. J. Kumar, Privatermittlungen, stand da, darunter meine Telefonnummer, meine E-Mail- und Internetadresse.
    Seitdem ich meine Homepage vor drei Tagen online gestellt hatte, zeigte der Zähler schon vier Besucher an. Zweimal war ich selbst es gewesen, um zu überprüfen, wie die von meinem Kumpel José gestaltete Seite wirkte. Er arbeitete als Journalist bei eben diesem Gratisblatt und dank ihm wurde die Anzeige auch nicht ganz so teuer. Dafür hatte ich versprochen, mit ihm einen Abend in der Centralbar beim Helvetiaplatz zu verbringen, wo der gesamte Abend auf mich gehen sollte. Was mich bei seiner Trinkfestigkeit letztendlich wohl mehr kosten würde als eine reguläre Anzeige.
    Einmal hatte sich meine Mutter die Seite angesehen, als tüchtige und erfolgreiche Ladeninhaberin kannte sie sich gut mit Computern aus. Lediglich mit dem Internet hatte sie manchmal ihre liebe Mühe. Schon mehr als einmal musste ich ihren Bildschirm von Myriaden wild blinkender Sites mit unzweideutigen Inhalten befreien.
    »Keine Ahnung«, war die übliche, kurz angebundene Antwort auf die Frage, wie sie denn dahin gekommen sei, während sie angestrengt und mit geröteten Wangen in einem Topf rührte oder tief gebückt ein Gestell auffüllte, um meinem spöttischen Blick
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