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Fangonia (German Edition)

Fangonia (German Edition)

Titel: Fangonia (German Edition)
Autoren: Ulrike Talbiersky
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Licht auf die Hausdächer und Baumwipfel des Dorfes. Dina stand am Fenster und starrte hinaus. Dann ließ sie sich wieder auf ihr Bett fallen.
    Das ging nun schon seit Stunden so. Sie konnte nicht schlafen. Nicht, nach dem, was vorgefallen war.
    Sie warf ihrer Zimmerdecke einen wütenden Blick zu. Die Eltern hatten Dina bereits in einem Internat angemeldet, und heute war der Brief gekommen, der ihre Aufnahme bestätigte. Sie hatte ihn zweimal gelesen, so als konnte sie den Inhalt nicht glauben. „Herzlichen Glückwunsch“ hieß es darin… und „Wir freuen uns, Sie bei uns willkommen zu heißen“… Wörter, die in Dina nur Trotz und Traurigkeit auslösten.
    Die Stadt war so weit weg vom Dorf, dass sie nicht mal an den Wochenenden nach Hause kommen würde.
    „Die Ferien lassen doch nie lange auf sich warten!“, wollten die Eltern sie beschwichtigen. Was für ein schwacher Trost! Nur ein Schulkind weiß, wie weit die Ferien überhaupt auseinander liegen, und wie endlos lang sogar eine einzige Unterrichtsstunde sein kann.
    „Erwachsene haben doch keine Ahnung!“, murrte Dina ihrer Bettdecke zu.
    Dann, auf einmal war da ein Gedanke. Ganz schnell, in keiner Zeiteinheit messbar schoss er Dina durch den Kopf, wie eine Sternschnuppe, deren heller Schweif ein Stück Dunkelheit aus Dinas unglücklichem Herzen vertrieb. Dieser Schweif formte sich zu einer Idee, und je länger Dina ihm nachhing, desto strahlender wurde er.
    Ja, das ist es! dachte Dina, und ein verwegenes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Die zornige Falte über ihrer Nase entspannte sich. Hastig tastete sie mit der Hand unter ihr Bett. Da war er, hinten in der rechten Ecke. Sie zog den dunkelroten Rucksack hervor, den ihr der Opa zu ihrem 8. Geburtstag geschenkt hatte.
    Der Opa wohnte ein paar Seemeilen nördlich an einer anderen Küste. Sie sah ihn nicht oft, aber wenn sie sich trafen war es stets wunderbar. Er verstand sie wie kein anderer – mit Ausnahme von Joe natürlich.
    „Für deine Abenteuer“, hatte er ihr damals geheimnisvoll zugeraunt. Dina hatte den Rucksack wochenlang auf dem Rücken getragen und auf ihre Abenteuer gewartet. Als sich jedoch nichts Besonderes zutrug, verstaute sie den Rucksack unter ihrem Bett und vergaß ihn bald darauf.
    Jetzt erinnerte sie sich an ihn. Aufgeregt riss sie die Schranktür auf, griff nach ein paar Jeans und einigen T-Shirts, stopfte sie in den Rucksack – die Muschel würde sie auch mitnehmen – und lief zum Fenster.
    Sie hatte schon ein Bein über das Fensterbrett geschwungen als sie es langsam wieder zurückzog. Sie lief zum Schreibtisch, kramte Stift und Zettel hervor, und begann eilig einige Worte darauf zu kritzeln. Dann schaute sie sich ein letztes Mal in ihrem Zimmer um und kletterte aus dem Fenster. Die Nacht hüllte sie in ihr dunkles Samttuch ein.
    Der Mond hatte seinen Rundgang schon fast beendet. Vor seinem Untergang warf er sein bleiches Licht noch einmal in Dinas Zimmer. Der weiße Zettel schimmerte milchig und die hastige Kinderschrift war deutlich erkennbar:

    „Liebe Mama, lieber Papa. Das könnt ihr nicht machen. Bitte seht das ein. Ich geh zum Opa. Holt mich, wenn ihr es euch anders überlegt habt. Sonst komm ich nicht zurück. Dina“

Nachtgeflüster

    D ie Nacht war vollkommen schwarz geworden. Nur der ein oder andere Stern zwinkerte Dina zu. Sie rannte die Gassen entlang. Die Häuser und Hütten des Dorfes schliefen friedlich. Sie hörten das leise Tappen kleiner Kinderfüße nicht.
    Dina kannte den Weg zum Strand hinunter in- und auswendig. Auch nachts war sie ihn schon oft gegangen, wenn sie sich mit Joe zur Geisterstunde getroffen hatte, um sich mit ihm zu gruseln.
    Heute war es schon weit nach Mitternacht. Joe – wo war er jetzt, wo sollte sie ihn suchen. Am Pier? War er noch in der Höhle? Manchmal schlief er dort die ganze Nacht. Beim Bootshaus seines Vaters oder in der Hütte bei seinen Geschwistern? Nein, da hielt er sich eher selten auf. Instinktiv rannte sie zum Bootshaus. Es war offen.
    „Joe!“, flüsterte Dina in das Dunkel der Hütte. Dort drinnen war es noch schwärzer als die Nacht draußen. Selbst das Meer, das Dina hinter sich rauschen hörte, ließ nur ab und zu eine kleine weiße Gischtkrone aufleuchten, wenn sich die Wellen am flachen Ufer brachen. Dina lauschte. Nichts regte sich. War er doch nicht hier?
    „Joe!“ Jetzt rief sie schon etwas lauter.
    Ein leichtes Grunzen und Schnaufen verriet ihn. Sie tastete sich an der Hüttenseite entlang und
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