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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts
Autoren: R Lappert
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    PROLOG
     
    Nachdem es fast den ganzen Juli hindurch geregnet hatte, brachte der August endlich warmes, trockenes Wetter. Sonnenschein, hatte der Mann im Radio gesagt, und Megan flüsterte das Wort, weil ihr der Klang gefiel. Sonnenschein. So nannte ihre Mutter sie, wenn es ein guter Tag und ihre Stimme ein zärtlicher Singsang war. Megan saß vor der Haustür unter dem Vordach und hielt die mit süßem Tee gefüllte Nuckelflasche fest, auf der bunte Blumen wuchsen. In einem Teller lagen Haferkekse und braun verfärbte Apfelschnitze. Das Gackern der Hühner wehte herüber, hin und wieder schnaubte Sam, der Gaul, wenn ihm die Fliegen zu lästig wurden. Weit weg stieg das Tuckern des Traktors ins unermessliche, blendende Blau. Ein Windhauch schob die heiße Luft von der Veranda und kühlte den verschwitzten Körper des Mädchens ein wenig.
    Die Frau im Auto sah zum Haus, ihr Gesicht mit der Sonnenbrille verschwamm in einem Viereck aus gleißendem Licht. Als der Mann den Motor anließ, drehte sie die Scheibe herunter und hob die Hand zu einem zaghaften Winken, aber dann setzte sich der Wagen in Bewegung, fuhr über den leeren, ockerfarbenen Platz und verschwand hinter den Bäumen, die entlang des ausgetrockneten Grabens standen. Während das Motorengeräusch verklang und der Staub sich legte, drang das Weinen des Jungen aus dem Haus, erst wimmernd, fragend, schließlich mit der ganzen Lautstärke und Kraft, die ein Halbjähriger aufzubringen vermag. Eine Weile lauschte Megan, wartete, dass jemand kam und sich um das lästige Wesen kümmerte, doch niemand kam. Nur die sorglose Hühnerschar war zu hören und das Brummen des Traktors, leiser als eine Hummel.
    Dann verstummte der Schreihals. Wahrscheinlich lag er da und glotztean die Decke, die Augen groß wie die Knöpfe an Daddys Mantel, das Gesicht rot angelaufen und fleckiger als das Fell der Katze. Tobey. Krachmacher und Vielfraß, wenn er nicht gerade schlief. Toto. Kleiner Bruder, sagte Mommy immer, wenn Megan ihn ansah und sich wünschte, er würde in den Müll gestopft, zusammen mit der stinkenden Windel und der Rassel, die ihr gehörte, und dem rosafarbenen Tuch, auf dem sie geschlafen hatte, bis er auftauchte.
    Megan stellte die Nuckelflasche hin, drehte sich zur Seite, legte ihre Händchen auf die Holzplanken und stemmte sich hoch. Sie wartete, bis sie nicht mehr schwankte, dann bewegte sie sich in Richtung Vordertür, die offen stand wie alle übrigen Türen und Fenster des Hauses. Sie hörte das Jammern des Wesens, das nichts selber tun konnte, außer diese Töne von sich zu geben, das nicht gehen, keine Flasche und keinen Löffel halten und nicht einmal in die Hände klatschen konnte und mit dem Mommy dennoch viel mehr Zeit verbrachte als mit ihr, Megan, Meggie, Sweetie, die nicht mehr ständig herumgetragen und gefüttert werden musste, die sich die Hände waschen konnte und in den Topf machte, wenn man sie daraufsetzte.
    Als sie an der Tür war, wurde Megan zurückgehalten. Sie drehte sich um, doch da war niemand. Dann, beim Versuch, die Schwelle zu übertreten, spürte sie den leichten Druck der Riemen an ihrem Oberkörper, den ein dünnes Leibchen bedeckte. Sie machte einen Schritt nach hinten und sah das Seil, das von der Mitte ihres Rückens hing, in einer gekrümmten Linie über die Bodenbretter verlief und an einem der Geländerpfosten endete. Megan betrachtete die Knoten im Seil, tastete mit den Fingern über die Riemen und setzte sich schließlich hin. In ihrem kleinen, warmen Kopf kreisten die Gedanken, kurze, simple Fragen, wie sie in dem Buch gestellt wurden, aus dem ihr die Mutter vor dem Einschlafen manchmal vorlas. Wo schläft der Fisch, wenn er müde ist? Was macht die Sonne nachts? Sie zog an der Leine. Kann aus einem Mädchen ein Hund werden wie aus einem Prinz ein Frosch? An ihrer Hand waren alle Finger. Auch ihre Füße hatten sich nicht in Pfoten verwandelt.
    Megan sah über den Platz, auf dem das Sonnenlicht alles ausgelöscht hatte, die Steine, die Schlaglöcher, die Reifenspuren. Es war still, die Hühner dösten irgendwo im Schatten, Sam hatte sich ans andere Ende derWeide getrollt, wo ein paar Bäume standen. Dann, als hätte sie nach ihm gerufen, tauchte der Hund auf.
    »Wellie«, sagte Megan leise, erhob sich und ging ein paar Schritte in Richtung der sonnenbeschienenen Verandastufen, bis das Seil gestrafft war. Der Border Collie hörte sie, wedelte mit dem Schwanz und wollte zu ihr, aber die an der Scheunenwand befestigte
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