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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts
Autoren: R Lappert
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dürrem Gras bedeckten Feld, an dessen Rand ein Wellblechschuppen vor der dunklen Front des Waldes aufragte. Geborstene Betonplatten legten eine Fahrspur zu dem Gebäude. Wo der Platz endete und die ursprüngliche Vegetation die Rückeroberung der Parzelle betrieb, zerfiel ein Traktor in der salzigfeuchten Luft. Als habe die Fassade des Schuppens das Tageslicht gespeichert, schien sie schwach zu leuchten, eine Leinwand, vor der Insekten wirbelten. Falter schwebten aus der Dunkelheit herab, langsam wie schwere Schneeflocken, immer wieder in die Höhe getragen von einem Windstoß, den es nicht gab. Tobey stellte die Koffer ab, seine Arme brannten. Die Melodie kreiste unablässig in seinem Kopf. Der Gedanke, keine Waffe bei sich zu tragen, beunruhigte ihn für einen Moment, dann hob er einen Stein auf und schleuderte ihn gegen das Wellblech.
     
    Der Himmel wurde dunkelblau. Das letzte Glimmen, schwach wie ein Feuer auf einer weit entfernten Insel, floss hinter den Bäumen ins Meer und verging. Tobey hatte den Versuch aufgegeben, die riesige Schiebetür an der Vorderfront zu öffnen, und war durch eines der Seitenfenster in den Schuppen eingestiegen. Er hatte zwei Taschenlampen dabei, den Lichtstrahl der größeren richtete er in alle Winkel der Halle, sich wie ein Leuchtturm drehend. Schränke standen schief an einer Wand, die Türen teilweise offen, entlang einer anderen reihten sich Werkbänke, offene Blechfässer, Kisten und Teile einer Karosserie. Unter dem Dach lagen Vogelnester auf den Eisenträgern, am Boden musterten weiße Kotspritzer die rohen Bretter. An einer Stelle des Giebels klaffte ein Loch, durch das Tobey den Nachthimmel sehen konnte. Seile hingen von den Querbalken des Dachstuhls, an einem war ein geflochtener Korb befestigt, in dem eine Handvoll rostiger Nägel lag. Ein Kühlschrank ohne Tür stand auf Bausteinen aus Zement, in einer Ecke türmten sich leere Flaschen, das Glas stumpf von braunem, pudrigem Staub.
    Tobey schob eine Werkbank ein Stück von der Wand weg, an der Ameisen hochliefen, wischte sie mit einem Stofflappen so gut es ging sauber und breitete die Isoliermatte darauf aus, die, flach wie eine gefalteteStraßenkarte, in einem der beiden Koffer gelegen hatte. Der Verkäufer im Outdoorladen in Manila hatte ihm zu einem monströsen Rucksack geraten, aber Tobey war nicht von der fixen Idee abzubringen gewesen, seine Habseligkeiten weiterhin in den beiden Koffern zu transportieren. Obwohl er nur ein Moskitonetz und einen Schlafsack hatte kaufen wollen, war er eine Stunde später auch noch mit der Isoliermatte, einem Gaskocher, Geschirr und Töpfen, zwei Taschenlampen und einem Wasseraufbereitungs-Set ins Hotel zurückgekehrt. Er hatte alles, was er seit London mit sich schleppte, auf dem Bett ausgebreitet und dann eine Daunenjacke, ein Paar Lederschuhe, ein Flanellhemd und ein Badetuch aussortiert und den Rest auf die zwei Koffer verteilt. Die Jacke, das Hemd und die Schuhe schenkte er dem Nachtportier, der darüber eher ratlos als erfreut schien. Das Tuch knüllte er zusammen und warf es aus dem Fenster im achten Stock, nur um zu sehen, wie es in den Hinterhof schwebte.
    Draußen riefen zwei Vögel einander zu, die Dachbalken knackten fast unhörbar. Tobey rollte den Schlafsack auf dem Tisch aus und bereute, die Isolier- statt der Schaumstoffmatte gewählt zu haben, nur weil sie weniger Platz brauchte. Ihm kam der Gedanke, er könnte sich auf der harten Tischplatte unruhig hin und her wälzen und herunterfallen, aber die Vorstellung, auf dem Boden zu schlafen, wo im Schutz der Dunkelheit bestimmt allerlei Getier kriechen würde, erschien ihm weitaus unangenehmer. Er baute den Kocher zusammen und machte im kleineren der beiden Töpfe einen Teil des Wassers heiß, das er in zwei Plastikflaschen mitgenommen hatte. Während er wartete, aß er gesalzene Erdnüsse der Singapore Airlines und lauschte den Geräuschen der Nacht. Er musste an das Messer denken, das er im Laden in der Hand gehalten und schließlich zurückgelegt hatte, damit sein Gepäck nicht noch schwerer wurde. Ein Messer wäre eine kluge Anschaffung gewesen, fand er jetzt, angestrengt auf ein leises Kratzen am Wellblech horchend. Andererseits bezweifelte er, dass es als Waffe viel taugte. Um einem Angreifer die Klinge ins Fleisch zu stoßen, musste man ihn auf Armeslänge an sich heranlassen; eine Distanz, die Tobey entschieden zu gering war.
    Als das Wasser kochte, machte er sich einen Becher Fertignudeln und eine Tasse
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