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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts
Autoren: R Lappert
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fiel, vom Wind landeinwärts getragen. Wolken drückten auf die Stadt am anderen Ufer, ließen Häuser und Brücken verschwinden. Lichter und Möwen tauchten daraus hervor und verschwanden wieder darin. Nichts hier erinnerte an die leuchtende Wärme und himmelblaue Unbeschwertheit Kaliforniens, das er am Vortag verlassen hatte, und dennoch lächelte Tanvir, seit er aus dem Flugzeug gestiegen war.
    Er nahm ein Taxi und ließ sich am Prospect Park West absetzen, um zu Fuß in die Carroll Street zu gehen, dem schlechten Wetter zum Trotz. Am Flughafen hatte er eine gelbe Kapuzenjacke gekauft, die sich bei jedem Lufthauch aufblähte. Es waren noch mehr als drei Stunden Zeit, also mischte er sich unter die Leute, die mit ihren Hunden spazierten, joggten und Rad fuhren; ein buntes Gewirr aus Schirmen und Regenmänteln und Fellen. Als er einen hellen Labrador sah, musste er an Nancys Hund denken und an den Friedhof, den er angelegt hatte, obwohl die Erde nass gewesen war und noch nicht bereit, die Toten aufzunehmen.
    Er verließ den Park und setzte sich in ein kleines Lokal, das auf einer Tafel damit warb, keinen Fernseher zu haben. Fünf Tische und ein Dutzend Stühle standen in dem Raum, an den Wänden hingen Bilder und Werbeplakate und handgeschriebene Speisekarten. Bis auf einen Tisch waren alle frei. Ein alter Mann saß daran und las in einer Zeitung, die er weglegte, als Tanvir neben ihm Platz nahm. Er hatte einen kleinen rundenKopf mit großen Ohren und grauen freundlichen Augen. Sein weißes Haar war gerade so lang, dass der Hut, der zusammen mit einem Mantel an der Stuhllehne hing, einen halbkreisförmigen Abdruck hinterließ. Die Wirtin, eine übergewichtige Frau in den Vierzigern, brachte Tanvir eine Tasse Kaffee und empfahl ihm den selbstgemachten Apfelkuchen. Wenig später kam ein Junge an seinen Tisch und stellte ein Stück des warmen Kuchens vor ihn hin. Er war vielleicht zehn Jahre alt, trug ein T-Shirt der New York Yankees und eine Brille mit dicken Gläsern, die sein Leben als Kind bestimmt nicht erträglicher machte.
    »Ist das deine Mutter?«, fragte Tanvir, als der Junge keine Anstalten machte, wegzugehen.
    Der Junge nickte.
    »Sag ihr, der Kuchen schmeckt sehr gut.«
    Der Junge drehte den Kopf in Richtung der Theke, hinter der die Frau Tassen in ein Regal stellte. »Mom, der Mann sagt, der Kuchen schmeckt gut!«, rief er, dann wandte er sich wieder mit ernster Miene Tanvir zu, als erwartete er eine weitere Bestellung oder ein Trinkgeld.
    »Lass ihn in Ruhe!«, rief die Mutter zurück.
    »Er stört mich nicht!«, sagte Tanvir laut, aber der Junge ging weg und verschwand durch eine Tür hinter der Theke.
    »Er spielt Gitarre«, sagte der Mann unvermittelt. »Elektrische Gitarre. Es klingt, als würde man ein Radio über dem Feuer rösten.«
    Tanvir lachte. Der Kuchen schmeckte zart nach Vanille.
    »Darf ich fragen, woher Sie kommen?« Der Mann hatte sich zu Tanvir gedreht, das Gesicht hell und offen wie ein Tor zu einer sonnigen Landschaft. Sein Tweedjackett war braun und alt, das Hemd darunter weiß und tadellos gebügelt.
    »San Diego«, sagte Tanvir.
    »Ach. Und was führt Sie bei diesem Wetter nach Brooklyn?«
    »Ich treffe mich mit einem Verleger.«
    »Oh. Sieh einer an.« Der Mann schürzte anerkennend die Lippen und nickte. »Und was verlegt der so?«, fragte er, noch immer nickend.
    »In diesem Fall das Buch einer Freundin.«
    Jetzt hob der Mann voller Bewunderung die Augenbrauen. »Sagen Sie bloß. Worum geht es denn in dem Buch, wenn man fragen darf?«
    »Eine Kindheit in Irland. Und um tausend andere Dinge.«
    »Ist ja allerhand. Und wie heißt das Buch? Oder ist das ein Geheimnis?«
    »Musik in den Träumen von Hunden.«
    Der Mann schloss für einen Moment die Augen, als lasse er die Wörter in seinem Kopf nachklingen. Dann streckte er Tanvir die Hand hin. »Stanley Bogdanovich.«
    »Tanvir Raihan.«
    Die Männer schüttelten sich die Hand.
    »Ich bin zweiundfünfzig aus Serbien nach Amerika gekommen. Das gelobte Land, Sie wissen schon.«
    »Ich bin seit vierundsechzig hier. Ich floh damals vor einer arrangierten Heirat aus Malaysia.«
    »Im Ernst? Davon will ich jetzt aber mehr hören.«
    Tanvir sah auf die Uhr. »Die kurze oder die lange Version?«
    »Die lange«, sagte Stanley Bogdanovich, ohne eine Sekunde zu zögern.
    Tanvir lächelte, bestellte zwei Tassen Kaffee und begann zu erzählen.

 
    Der Autor bedankt sich herzlich bei den folgenden Institutionen und Menschen:
     
    Zuallererst
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