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Fangonia (German Edition)

Fangonia (German Edition)

Titel: Fangonia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Talbiersky
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von Dinas tollem Fund.
    „Ist es nicht großartig endlich Ferien zu haben?“ Joe strahlte von einem Ohr bis zum anderen.
    „Ja! Super! Ein herrlicher Tag ist es heute! Lass uns zu den Booten am Hafen laufen!“

    Dina und Joe gingen in dieselbe Klasse der kleinen Dorfschule. Das heißt, bis jetzt. Der letzte Schultag vor den Ferien bedeutete für sie auch der letzte Schultag in der Dorfschule, die nur fünf Jahre ausbildete. Danach mussten die Kinder in eine der weiterführenden Schulen in die Stadt. So kam entweder ein längerer Schulweg infrage, oder der Aufenthalt in einem Internat.
    Erst neulich hatte Dina sich mit ihren Eltern heftig gestritten, da diese sie in einer Schule mit Internat anmelden wollten. Dina wollte nicht weg, nicht weg vom Meer, nicht weg von Joe. Lieber wollte sie einen längeren Schulweg in Kauf nehmen. In Gutao war sie zu Hause, warum sahen ihre Eltern das nicht ein?
    Der Streit war nach Dinas Meinung unentschieden ausgegangen, aber es war bestimmt nicht das letzte Mal, dass das Thema angesprochen werden würde.
    Dina schüttelte den Kopf, als ließe sich der Gedanke dadurch vertreiben. Sie wollte jetzt nicht an so etwas denken. Nicht jetzt, nach der schönen Geschichte von der alten Marla und mit der tollen Aussicht, den ganzen Nachmittag mit Joe am Strand bei den Booten zu verbringen. Sie lachte Joe an und rannte voraus. Sie reizte ihn nur zu gern zu einem Wettrennen, das Joe freudig aufnahm. Er hatte den ganzen Vormittag seinem Vater beim Streichen eines Bootes geholfen, und seine steifen Beine lechzten nach Bewegung.
    Bis zum Hafen war es nicht sehr weit, doch Dinas Vorsprung reichte nicht aus, um vor Joe am Ziel zu sein. Er war immer schneller als sie. Dina war außer Atem und stützte die Hände auf ihre Knie.
    „Du bist ja auch einen halben Kopf größer und hast dadurch einen Vorteil!“ lachte sie zu ihrer Verteidigung und schaute schräg hoch zu Joe. Der strahlte siegerhaft und schien nicht mal sonderlich erschöpft zu sein.
    Dina mochte sein offenes, breites Lächeln, das eine Reihe schneeweißer Zähne blitzen ließ. Joe hatte pechschwarzes Haar und dunkle Augen, die stets vergnügt in die Welt schauten. Er war kräftig von Statur und braungebrannt wie die meisten Kinder des Dorfes, die den ganzen Tag an der frischen Luft verbrachten.
    Joe wohnte direkt am Strand in einer der Fischerhütten, die meist zu klein für die oft zu großen Familien waren. Joes Vater war Fischer und damit die meiste Zeit auf See. An den Wochenenden reparierte und baute er Boote. Dabei half Joe ihm immer.
    Joes Mutter hatte zu Hause viel zu tun mit seinen fünf jüngeren Geschwistern, sodass sich niemand richtig um ihn kümmerte und er tun und machen konnte, was er wollte.
    Joe kam das gerade recht. Er liebte das Meer und die Boote. Er verstand sich mit den Fischern, und alles deutete darauf hin, dass auch er eines Tages mit Netzen hinaus aufs Meer fahren würde. Und das in gar nicht allzu ferner Zukunft. Seine Eltern konnten das Geld für eine weiterbildende Schule nicht aufbringen, und er selbst hatte auch nicht den Ehrgeiz zum Lernen. Joe hielt es für Zeitverschwendung den halben Tag eingeklemmt hinter einem Pult zu sitzen, während die Sonne verführerisch zum Fenster hereinlachte. Er las gerne, ja, am liebsten Bücher über das Meer und seine Bewohner. „Die Schatzinsel“ zählte zu seinen Lieblingsbüchern, wovon die abgegriffenen Seiten und Eselsohren seines Exemplars zeugten. Sonst aber konnte er der Schule wenig abgewinnen.

    An der gegenüberliegenden Straße hatte ein Eismann seinen Stand aufgebaut und war schon bald von heraneilenden Kindern umringt. Lässig, mit knallgelber Sonnenbrille, verteilte er eine Eiskugel nach der anderen.
    „Jetzt haben wir uns aber eine Erfrischung verdient!“, rief Dina, fasste Joes Hand und zog ihn zu dem Eisverkäufer. Sie bezahlte für Joes und ihre Lieblingssorten.

    Auch Dina war braungebrannt. Schließlich war sie fast ebenso oft am Strand wie die anderen Kinder. Sie war von zierlicher Gestalt, aber trotzdem kräftig genug, um bei den Booten mit anzupacken, wenn die Fischer Joe und sie zu sich riefen. Die hellbraunen Haare hingen lose über ihre Schultern. Sie ließ sie gerne vom Wind durchwehen. In ihren blaugrünen Augen lag stets ein verträumter Ausdruck. Oft schien es so, als würde sie die Dinge, die sie anschaute, gar nicht richtig wahrnehmen. Aber im nächsten Moment konnten dieselben Augen strahlen und mit der Sonne um die Wette lachen.

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