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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin
Autoren: Boris Akunin
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finden.
    »Stimmt, wenigstens im Arbeitszimmer hätte man die Papiere sichten sollen«, gab er zu. »Jegor Nikiforitsch hat es eben immer ein bißchen eilig. Er hat eine achtköpfige Familie zu versorgen, da schaut er drauf, daß er schnell nach Hause kommt. Ein alter Mann, noch ein Jahr bis zur Pension, was will man da verlangen … Aber vielleicht haben Sie ja Lust hinzufahren, Herr Fandorin? Wir könnten gemeinsam nachschauen. Ich hänge hinterher ein neues Siegel an, kein Problem. Jegor Nikiforitsch wird darüber hinwegsehen. Der ist froh, daß man ihn nicht noch mal behelligt. Ich sage ihm, da war noch eine Anfrage vom Kriminalamt, wäre das recht?«
    Fandorin vermutete, daß der dürre Reviergehilfe nur darauf aus war, die »hochvornehme« Wohnung ein weiteres Mal in Augenschein zu nehmen, und mit dem »Anhängen« eines neuen Siegels schien es auch nicht getan – doch die Versuchung war groß. Die Sache roch gar zu sehr nach Geheimnis.
     
    Die Wohnungseinrichtung des seligen Pjotr Kokorin (Beletage eines vornehmen Geschäftshauses nahe des Pretschistenskije-Tors) vermochte Fandorin nicht sonderlich zu beeindrucken – zu jenen schnell dahingegangenen Zeiten, da das Säckel seines Herrn Papa gut gefüllt war, hatte er in kaum weniger prunkvollen Gemächern gehaust. Darum hielt sich der Kollegienregistrator nicht lange in dem Marmorfoyer auf, wo allein der venezianische Spiegel gute zwei Meter hochund der Stuck an der Decke vergoldet war, sondern lief stracks bis ins Wohnzimmer: auch dieses geräumig, sechs Fenster breit, im ultramodernen russischen Stil – bemalte Truhen, Eichenschnitzwerk an den Wänden und ein stattlicher Kachelofen.
    »Bonfortionös hat man gewohnt, wie gesagt!« tat Fandorins Begleiter im Flüsterton kund und hauchte ihm einen Seufzer in den Nacken.
    Fandorin wiederum glich jetzt einem einjährigen Setter, der, zum ersten Mal in den Wald gelassen, das Wild so heftig in den Wind bekommt, daß er außer Rand und Band gerät. Den Kopf in einem fort hin- und herdrehend, kombinierte er: »Dort die Tür – das ist das Arbeitszimmer?«
    »Sehr richtig.«
    »Gehen wir nach da!«
    Die lederne Mappe zu finden war ein leichtes – sie lag auf dem massiven Schreibtisch, genau zwischen der malachitenen Tintenfaßgarnitur und dem muschelförmigen, perlmuttbesetzten Aschenbecher. Doch bevor Fandorins ungeduldige Hände das knarrende braune Leder berührt hatten, fiel sein Blick auf eine Porträtphotographie, die im silbernen Rahmen an sichtbarster Stelle auf dem Schreibtisch stand. Das Gesicht auf der Photographie war so ausdrucksvoll, daß Fandorin erst einmal die Mappe vergaß. Eine Kleopatra schaute ihn an: halb abgewandt, mit üppigem Haar, großen mattschwarzen Augen, stolz gebogenem Schwanenhals und launischer Mundpartie, die eine Spur Erbarmungslosigkeit hervorzukehren schien. Am meisten aber faszinierte den Kollegienregistrator der Ausdruck herrischer Gelassenheit und Selbstsicherheit auf diesem Mädchengesicht. (Aus irgendeinem Grunde wollte Fandorin unbedingt, daß es ein Mädchen war, keine Dame.)
    »Ist die aber hübsch!« meinte Iwan Prokofjewitsch, der schon wieder neben ihm stand, und pfiff anerkennend durch die Zähne. »Wer ist sie denn? Wenn Sie erlauben …«
    Ohne das geringste Zögern beging er den Frevel, das zauberhafte Antlitz aus dem Rahmen zu ziehen und auf die Rückseite zu schauen. Mit schräger, schwungvoller Schrift stand dort geschrieben:
     
    Für Pjotr K.
    Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.
    Verliebter, leugne Deine Liebe nicht!
    A. B.
     
    »Sie sieht in ihm den Apostel Petrus und sich selber anscheinend als Jesus! Was die sich einbildet!« fauchte des Reviervorstehers Gehilfe. »Er wird doch nicht am Ende dieses Luders wegen Hand an sich gelegt haben, was? Ach, da haben wir ja auch das Mäppchen. Hat sich der Weg doch gelohnt.«
    Iwan Prokofjewitsch klappte den Lederdeckel auf und zog ein einzelnes Blatt des hellblauen Papiers hervor, das Fandorin bereits kannte – es war am unteren Rand mit einem notariellen Stempel und mehreren Unterschriften versehen.
    »Hervorragend!« Der Gehilfe nickte zufrieden. »Das Testament hätten wir also. Ach herrje. Ist ja interessant.«
    Das Dokument zu überfliegen, benötigte er kaum eine Minute, die Fandorin jedoch unendlich lang vorkam; dem Polizeidiener über die Schulter zu schauen schien ihm unter seiner Würde.
    »Heiliger Bimbam! Mit schönem Gruß an die Cousins und Cousinen!« jauchzte Iwan Prokofjewitsch nun
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