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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande
Autoren: Tom Sharpe
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Kapitel 1
     
    Man könnte mit Fug und Recht behaupten, daß Lockhart Flawse, als er seine Braut Jessica, geborene Sandicott, über die Türschwelle des Hauses 12 Sandicott Crescent in East Pursley, Grafschaft Surrey, trug, ebenso unvorbereitet in den Stand der Ehe mit all seinen Gefahren und glücklichen Momenten trat, wie er am Montag, den 6. September 1965 um fünf nach sieben die Welt betreten hatte, wodurch er seiner Mutter das Lebenslicht ausblies. Da Miss Flawse sich trotz der Brennesseln, aus denen ihr Totenbett bestand, standhaft geweigert hatte, den Namen seines Vaters zu nennen, und die Stunde seiner Entbindung und ihres Dahinscheidens damit verbrachte, abwechselnd zu heulen und »Großer Scott!« zu schreien, hatte sich sein Großvater darin gefallen, das Neugeborene nach dem Biographen des großen Walter Scott zu nennen und es Lockhart, unter beträchtlicher Gefährdung seines eigenen Rufes, zu gestatten, fürs erste den Nachnamen Flawse anzunehmen.
Von da an hatte Lockhart nichts mehr annehmen dürfen, nicht einmal eine Geburtsurkunde, wofür der alte Mr. Flawse gesorgt hatte. Wenn seine Tochter schon so bar jeder gesellschaftlichen Diskretion war, daß sie bei der Jungfuchsjagd unter einer Bruchsteinmauer einem Bastard das Leben schenkte, nachdem ihr Pferd, vernünftiger als sie, an eben dieser Bruchsteinmauer verweigert hatte, wollte Mr. Flawse wenigstens sicherstellen, daß sein Enkel ohne die Schwächen seiner Mutter aufwuchs. Dies war ihm gelungen. Mit achtzehn wußte Lockhart so wenig über Sex, wie seine Mutter von Verhütung gewußt hatte oder hatte wissen wollen. Er hatte sein Leben unter der Obhut mehrerer Haushälterinnen und später eines halben Dutzends Hauslehrer verbracht, erstere danach ausgewählt, ob sie willens waren, Kost und Logis des alten Mr. Flawse zu ertragen, letztere nach ihrer Weltfremdheit.
Alldieweil Flawse Hall auf der Flawse-Hochebene unterhalb der Flawse-Hügel und somit um die dreißig Kilometer von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt in der trostlosesten Moorlandschaft nördlich des Römerwalls lag, hielten es nur die verzweifeltesten Haushälterinnen und die weltfremdesten Hauslehrer längere Zeit dort aus. Doch nicht allein die Unbilden der Natur schreckten. Mr. Flawse war äußerst reizbar, und der Reihe von Hauslehrern, die Lockhart ein äußerst dürftiges Allgemeinwissen vermittelt hatten, war dies nur unter der ausdrücklichen Bedingung gestattet worden, bei den Sprachen des Altertums ohne Ovid auszukommen und auf jegliche Literatur zu verzichten. Sie sollten Lockhart in den alten Mannestugenden und der Mathematik unterrichten. Mr. Flawse hielt besonders große Stücke auf Mathematik und glaubte ebenso inbrünstig an Zahlen, wie seine Vorfahren an Prädestination und Viehdiebstahl geglaubt hatten. Seiner Meinung nach stellten sie den soliden Grundstock einer Karriere in der Wirtschaft dar und waren ebenso bar aller deutlich sexuellen Anspielungen, wie die Formen seiner Haushälterinnen. Da Hauslehrer, und vor allem weltfremde Hauslehrer, nur selten sowohl Kenntnisse der Mathematik als auch der Sprachen des Altertums aufwiesen, verlief Lockharts Erziehung sprunghaft, war aber dennoch gründlich genug, um jeden Versuch örtlicher Behörden scheitern zu lassen, ihn auf öffentliche Kosten mit einer orthodoxeren Schulbildung auszustatten. Die Schulinspektoren, die sich nach Flawse Hall wagten, um Beweise für Lockharts unzulängliche Bildung zu finden, verblüffte seine Schmalspurgelehrsamkeit. Sie waren keine Knäblein gewohnt, die ihre neunzehn lateinischen Konjugationstabellen aus dem Stegreif hersagen oder das Alte Testament auf Urdu lesen konnten. Des weiteren waren sie es nicht gewohnt, Prüfungen in Gegenwart eines alten Mannes abzuhalten, der augenscheinlich mit dem Abzug eines demonstrativ geladenen und zerstreut in ihre Richtung deutenden Gewehrs herumspielte. Unter diesen Umständen kamen sie zu dem Schluß, daß Lockhart Flawse zwar kaum in sicheren, dafür aber bildungsmäßig in exzellenten Händen sei, und daß man sich durch den Versuch, ihn in öffentliche Obhut zu nehmen, höchstwahrscheinlich nichts einhandeln würde als eine Ladung Schrot, und so dachten auch seine Hauslehrer, die von Jahr zu Jahr seltener kamen.
Mr. Flawse kompensierte ihre Abwesenheit, indem er Lockhart selbst unterrichtete. Er hatte 1887 das Licht der Welt erblickt, zur Blütezeit des britischen Weltreichs, und hielt immer noch die Dogmen hoch, die während seiner
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