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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande
Autoren: Tom Sharpe
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Einkünfte aus den Mieten der Häuser am Sandicott Crescent zu behalten, hatte Mrs. Sandicott Jessicas Aktivitäten auf ihr Wohnhaus und einen Fernkurs in Maschineschreiben beschränkt. Als Jessica achtzehn wurde, konnte noch immer keine Rede davon sein, daß sie das Alter der Reife erreicht hatte. Wenn überhaupt, hatte sie sich zurückentwickelt, und während Mrs. Sandicott die Geschäfte von Sandicott und Partner überwachte œ der Partner war übrigens ein Mr. Treyer œ, versank Jessica in einem literarischen Morast aus Liebesromanen, in denen es von herrlichen jungen Männern nur so wimmelte. Kurz, sie lebte in einer Phantasiewelt, deren Dominanz sich eines Morgens erwies, als sie verkündete, sie habe sich in den Milchmann verliebt und wolle ihn heiraten. Am nächsten Tag sah sich Mrs. Sandicott den Milchmann genau an und befand, nun sei die Zeit für verzweifelte Maßnahmen reif. So sehr sie ihre Phantasie auch strapazierte, sich den Milchmann als Zukünftigen ihrer Tochter vorzustellen, wollte ihr nicht in den Sinn. Doch ihre entsprechenden Argumente, durch die Tatsache untermauert, daß er nicht nur neunundvierzig, verheiratet und Vater von vier Kindern war, sondern auch noch nichts von seinem Glück wußte, prallten an Jessica ab.
»Ich werde mich seinem Glück opfern«, verkündete sie. Mrs. Sandicott war anderer Meinung und buchte umgehend zwei Fahrkarten für die Ludlow Castle, in der Überzeugung, ganz gleich, was für potentielle Ehemänner für ihre Tochter auf dem Schiff warten mochten, sie könnten auf keinen Fall ungeeigneter sein als der Milchmann. Außerdem mußte sie auch an sich selbst denken, und Kreuzfahrtschiffe waren ein berüchtigtes Jagdrevier für nicht mehr ganz junge Witwen auf der Suche nach dem Volltreffer. Daß Mrs. Sandicott es auf einen steinalten, möglichst unheilbar kranken Greis mit Unmengen von Geld abgesehen hatte, machte die Reise nur noch spannender. Und Lockharts Auftauchen hatte den doppelten Volltreffer angekündigt: Einen annehmbaren und offensichtlich geistig zurückgebliebenen jungen Mann für ihre bescheuerte Tochter, während in seiner Luxuskabine ein neunzig Jahre alter Gentleman mit einem riesigen Gut in Northumberland wartete. An diesem Abend begab sich eine vergnügte Mrs. Sandicott zu Bett. In der Koje über ihr seufzte Jessica und flüsterte die magischen Worte: »Lockhart Flawse von Flawse Hall auf der Flawse-Hochebene dicht unterhalb der Flawse-Hügel«. Sie ergaben eine Flawse-Litanei, die zu ihrer Religion namens Romantik paßte.
Auf dem Bootsdeck beugte sich Lockhart über die Reling und starrte auf das Meer hinaus, Gefühle im Herzen, so turbulent wie das schäumende Kielwasser des Schiffes. Er hatte das wunderbarste Mädchen der Welt kennengelernt und zum allerersten Mal bemerkt, daß Frauen nicht einfach nur wenig anziehende Lebewesen waren, die Essen kochten, Fußböden fegten und, nachdem sie die Betten gemacht hatten, nachts in selbigen eigenartige Geräusche von sich gaben. Mit ihnen ließ sich mehr anfangen als das, doch was das wohl sein mochte, konnte Lockhart nur raten.
Auf sexuellem Gebiet beschränkte sich sein Wissen auf die beim Ausnehmen von Karnickeln gemachte Entdeckung, daß Rammler Eier hatten und Weibchen nicht. Zwischen diesen anatomischen Unterschieden und der Tatsache, daß Frauen Kinder bekamen und Männer nicht, bestand offenbar irgendein Zusammenhang. Als er ein einziges Mal versuchte, Näheres über diese Unterschiede herauszufinden, indem er den Hauslehrer auf Urdu fragte, wie Mizraim in 1. Mose 10, Vers 13 die Luditer zeugete, hatte er eine Ohrfeige erhalten, die ihn vorübergehend taub machte und ihm den Eindruck vermittelte, solche Fragen blieben am besten ungestellt. Andererseits war ihm bewußt, daß es so etwas wie die Institution der Ehe gab und daß Ehen Familien zur Folge hatten. Eine seiner entfernten Flawse-Kusinen hatte einen Bauern aus Eisdon geheiratet und in rascher Folge vier Kinder bekommen. Das hatte ihm die Haushälterin erzählt, mehr nicht, außer, daß die Heirat ein Schnellschuß gewesen sei, was das Geheimnis nur noch vertiefte, da ein Schuß, wie Lockhart wußte, Lebewesen ins Jenseits und nicht auf die Welt beförderte.
Um die Angelegenheit vollends zu verwirren, hatte ihm sein Großvater nur erlaubt, seine Verwandten zu besuchen, wenn deren Beerdigung anstand. Mr. Flawse genoß Begräbnisse ungemein. Sie bestärkten ihn in seiner Auffassung, daß er zäher als alle anderen Flawses war und nur eines
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