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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande
Autoren: Tom Sharpe
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Bahnen. Auch dort hatte sich einiges verändert. In den Beeten wuchsen die Gurken zu einer Größe heran, die Mr. Dodd noch nie erlebt hatte, während Jessicas Umfang sich ähnlich vergrößerte. Und den ganzen Sommer über summten die Bienen aus den Strohstöcken über dem Heidekraut, und junge Karnickel tollten außerhalb der Gehege umher. Selbst die Füchse spürten die atmosphärische Veränderung und kehrten zurück, und zum ersten Mal seit vielen Jahren riefen über der Flawseschen Hochebene die Brachvögel. Das Leben kehrte zurück, und Lockhart hatte sein früheres Bedürfnis verloren, auf andere Lebewesen zu schießen. Dies war zum Teil Jessica zu verdanken, weit mehr jedoch Miss Deyntry, die Jessica unter ihre Fittiche genommen und ihr nicht nur eine Abneigung gegenüber Jagdsportarten eingeimpft, sondern ihr auch die Sentimentalität ausgetrieben hatte. Das morgendliche Erbrechen hatte dazu beigetragen, daß von Störchen nicht mehr die Rede war. Jessica hatte sich zu einer häuslichen Frau mit spitzer Zunge verbreitert, und die Sandicottsche Ader hatte sich wieder Geltung verschafft. Es war dies ein praktischer Zug, der einigen Wert auf Komfort legte, und so war das Herrenhaus umgebaut worden. Dazu gehörten neue Fenster und eine Zentralheizung, um mit Feuchtigkeit und Trockenheit fertigzuwerden, doch in den Hauptwohnräumen blieb Jessica bei offenem Kaminfeuer. Und Mr. Dodd schaffte aus dem Stollen immer noch Kohle herbei, wenn auch auf weniger beschwerliche Art als früher. Als Ergebnis von Lockharts Schallwellenkrieg waren im Stollen eigenartige Dinge passiert.
»Die Decke ist an einigen Stellen eingefallen«, berichtete Mr. Dodd, »doch was mich wirklich verblüfft, ist das eigentliche Flöz. Die Kohle ist zerfallen, und da unten liegt ein Haufen Staub rum.«
Lockhart sah sich das alles an und verbrachte etliche Stunden mit der Untersuchung dieses seltsamen Ereignisses. Die Kohle war tatsächlich zerfallen, und überall lag eine dicke Kohlenstaubschicht. Er kehrte geschwärzt, aber begeistert zurück.
»Könnte sein, daß wir auf eine neue Fördermethode gestoßen sind«, sagte er. »Wenn Schallwellen Fenster zerstören und Glas zerbrechen können, wüßte ich nicht, warum sie sich unter der Erde nicht zu anderen Zwecken einsetzen lassen sollten.«
»Du erwartest doch wohl hoffentlich nicht, daß ich mich da unten mit irgendeiner infernalischen Pfeife rumtreibe«, sagte Mr. Dodd. »Ich hab nicht vor, im Interesse der Wissenschaft irre zu werden, und es laufen immer noch etliche Schafe und Ochsen rum, von denen man schwerlich behaupten könnte, sie seien ganz bei Trost.«
Doch Lockhart beruhigte ihn. »Wenn mich nicht alles täuscht, muß kein Mensch je wieder Leben und Gesundheit in einem Kohlenbergwerk aufs Spiel setzen. Man müßte lediglich eine hochfrequente Wellen absondernde, selbstfahrende Maschine bauen, mit einer Art riesigem Staubsauger im Schlepptau, der anschließend den Staub einsammelt.«
»Aye, nun, ich muß schon sagen, die Idee hat einiges für sich«, sagte Mr. Dodd. »Dabei steht schon alles in der Bibel, es hätte einem nur auffallen müssen. Ich hab‘ mich schon immer gefragt, wie Josua mit einer winzigen Trompete die Mauern Jerichos zum Einsturz bringen konnte.«
Lockhart begab sich wieder in sein Labor und begann mit der Konstruktion seines Schallwellen-Kohlenextraktors.
Und so ging der Sommer friedlich ins Land, und das Herrenhaus wurde erneut zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in den Mittelmarken. Mr. Bullstrode und Dr. Magrew kamen wie gewohnt zum Dinner, doch auch Miss Deyntry und andere von Jessica eingeladene Nachbarn kamen. Es war Ende November, und der Schnee lag in hohen Verwehungen an den Bruchsteinmauern, als sie einem Sohn das Leben schenkte. Draußen pfiff der Wind, und die Schafe drängten sich in ihren steinernen Pferchen aneinander; im Haus war es warm und gemütlich.
»Wir nennen ihn nach seinem Großvater«, sagte Lockhart, als Jessica den Kleinen stillte.
»Aber wir wissen doch gar nicht, wer das ist, Liebling«, wandte Jessica ein. Lockhart schwieg. Sie hatten tatsächlich immer noch nicht herausgefunden, wer sein Vater war, und er hatte vorhin seinen eigenen Großvater gemeint. »Dann warten wir mit der Taufe bis zum Frühling, wenn die Straßen befahrbar sind und wir alle zur Feier einladen können.« Somit blieb der neugeborene Flawse erst einmal fast anonym und bürokratisch gesehen ebensowenig existent wie sein Vater, während Lockhart einen
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