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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande
Autoren: Tom Sharpe
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Hinterlassenschaft des alten Mannes. Eine Unschuld, die wie ein Alp auf ihm gelastet und ihm das Recht auf Schuld und die wahre Humanität verwehrt hatte, die sich aus Schuld und Unschuld zusammensetzt. In seiner Totenklage hatte Lockhart all dies unbewußt festgestellt, doch nun fühlte er sich frei, sein geteiltes Selbst zu sein, ein Mann der Lüste wie der Liebe, Erfindungsreichtum mit Mitleid, Angst mit geistloser Tapferkeit kombinierend, kurz: ein Mann wie andere Männer auch. Dies war ihm zuvor durch die Fixiertheit seines Großvaters auf Helden und Heldenverehrung verwehrt gewesen; doch in den Flammen, die Mr. Flawse verzehrt hatten, war Lockhart neu geboren worden, sein eigener Herr, ganz gleich, wer seine Ahnen oder wer oder was sein Vater gewesen sein oder getan haben mochte.
Und während Mr. Bullstrode und Dr. Magrew die Straße nach Hexham hinabfuhren und Mr. Dodd mit Schaufel und Handfeger die Asche seines verstorbenen Herrn aus dem Kamin fegte, von den ausländischen Teilen trennte, mit denen einmal Mr. Flawses posthume Wiederbelebung bewerkstelligt worden war, und den Rest in die Gurkenbeete kippte, standen Lockhart und Jessica nebeneinander da und waren es zufrieden, einfach nur sie selbst zu sein.
Von Mr. Mirkin oder den Zollbeamten in Hexham ließ sich das gleiche schwerlich behaupten. Besonders Mr. Mirkin war weder er selbst, noch stand er neben sich. Er hatte kein Ego, neben dem er stehen konnte. Der Leitende Steuerinspektor (Oberfinanzdirektion; Unterabteilung Steuerhinterziehung) lag wieder im Krankenhaus, äußerlich unbeschädigt, innerlich jedoch unter den simultanen Nachwirkungen extrem niederfrequenter Wellen leidend. Sein Zustand verwirrte dieÄrzte, die aus seinen Symptomen nicht schlau wurden. Sein eines Ende flatterte, das andere schwang. Die Kombination beider Phänomene war ihnen noch nie zuvor begegnet, und erst als Dr. Magrew eintraf und vorschlug, seine eingegipsten Beine zusammenzugipsen, damit sie nicht mehr vibrierten, konnte man Mr. Mirkin im Bett behalten. Dennoch jaulte er weiter; sein dringendstes Jaulen bestand in der Forderung, man möge ihm sein Formular D bringen, was wegen des gleichnamigen Vitamins zu einiger Verwirrung führte. Schließlich knebelte man ihn und packte seinen Kopf zwischen bleigefüllte Eisbeutel, damit er nicht mehr vibrierte.
»Er ist eindeutig übergeschnappt«, sagte Dr. Magrew überflüssigerweise, während der Leitende Steuerinspektor auf dem Bett herumhopste. »Am besten und sichersten wäre es, wenn man ihn in einer Gummizelle unterbrächte. Außerdem würde es das Rumpelgeräusch verringern.«
»Sein Magen kann keine Nahrung bei sich behalten«, sagte ein Facharzt, »und das Rumpeln ist ziemlich ekelhaft.«
Für die Diagnose kam erschwerend hinzu, daß Mr. Mirkin, der nichts mehr hören konnte, sich weigerte, Fragen zu beantworten, sogar solche, die seinen Namen und seine Adresse betrafen, und als man den Knebel entfernte, jaulte er nur um so lauter. In der Entbindungsstation nebenan führte sein Jaulen zu Beschwerden und der Forderung, man möge ihn außer Hörweite verlegen. Dr. Magrew war sofort einverstanden und unterschrieb eine Überweisung in die örtliche Nervenklinik, mit der vollkommen vernünftigen Begründung, ein Mensch, dessen Extremitäten so eindeutig im Clinch miteinander lägen und der offenbar sein Gedächtnis verloren habe, müsse an einer unheilbar gespaltenen Persönlichkeit leiden. Und so wurde Mr. Mirkin, nunmehr selbst nichts weiter als eine Nummer, mit einer Anonymität, die völlig zu seinem Beruf als Steuereintreiber paßte, auf öffentliche Kosten und gemäß Formular D in die am besten gepolstertste und schalldichteste aller Zellen gesteckt.
Währenddessen waren die Zöllner und der leitende Mehrwertsteuerfahnder zu sehr mit dem Verlust ihrer eigenen Hörfähigkeit beschäftigt, als daß sie ernsthaft mit dem Gedanken spielen konnten, Flawse Hall einen erneuten Besuch abzustatten. Sie verbrachten ihre Zeit damit, sich untereinander sowie ihren Anwälten Mitteilungen zu schreiben, in denen es darum ging, Klage gegen das Verteidigungsministerium zu erheben, da es sie nicht darauf aufmerksam gemacht habe, daß sie sich in der Nacht der Razzia auf einem Schießplatz befunden hätten. Das Verfahren zog sich in die Länge, da das Heer hartnäckig abstritt, nachts Schießübungen abzuhalten, und da die Befragung der Zollbeamten schriftlich erfolgen mußte.
Inzwischen verlief das Leben in Flawse Hall wieder in ruhigeren
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