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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande
Autoren: Tom Sharpe
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echter Engländer bis ins Mark und werde es auch bleiben. Spart euch also euer Gewimmer für die Weiber und laßt mir meinen Knall.«
Wie als Antwort auf seine Forderung gab es in seinem Inneren eine dumpfe Explosion, und Rauch drang aus seinen Ohren. Mr. Bullstrode und Dr. Magrew sahen entsetzt zu, während Lockhart an den Knöpfen herumhantierte und Mr. Dodd etwas zurief.
»Den Feuerlöscher«, schrie er, »um Gottes willen, holen Sie den Feuerlöscher!« Doch dazu war es zu spät. Mr. Flawse machte sein Versprechen wahr, nicht zu wimmern. Mit den Armen rudernd
und mit klapperndem Mund unverständliche Beleidigungen ausstoßend, schoß er im Rollstuhl durch den Festsaal, wobei er unterwegs mit den Füßen einen Teppich aufsammelte und von einer Rüstung abprallte, bis er schließlich œ mit dem Sinn fürs Praktische, den er an seinen Ahnen immer so bewundert hatte œ in den offenen Kamin raste und in Flammen aufging. Als Mr. Dodd mit dem Feuerlöscher auftauchte, war nichts mehr zu löschen, und der Alte war in einem Funken- und Flammenregen den Schornstein hinaufgestoben.
»Der Mann wurde von seiner irdischen Hülle befreit, als die Funken gen Himmel stoben. Amen«, sagte Mr. Dodd.
Und so verglühte schließlich im großen Kamin der alte Mr. Flawse, der letzte seines Geschlechts, vor den Augen seiner beiden engsten Freunde, Jessicas, Mr. Dodds und des Mannes, den er immer den Bastard genannt hatte.
»Fast ein Wikingerbegräbnis«, sagte Dr. Magrew, als die verkohlten Überreste zu Asche zerfielen und der letzte Transistor schmolz. Er war in Japan hergestellt worden, wie der Arzt bemerkte, was der letzten Prahlerei des Alten widersprach, er sei Engländer bis ins Mark. Gerade wollte er diese interessante anatomische und philosophische Beobachtung Mr. Bullstrode mitteilen, als hinter ihm ein Schrei ertönte. Lockhart stand zwischen den tropfenden Kerzen auf dem Eichenholztisch, und Tränen liefen ihm die Wangen herunter. »Steckt also doch noch ein Funken Mitleid in dem Teufel«, dachte der Doktor, aber Mr. Dodd erkannte die Symptome, nahm seinen Dudelsack zur Hand und quetschte ihn unter den Arm, während Lockhart sein Klagelied anstimmte.
    »Der letzte von allen hat die Hall verlassen
Mr. Flawse die Hochebene räumen mußte
Doch wer übriggeblieben ist wird nie vergessen
Die Geschichte, die er zu erzählen wußte.
Er starb zwei Tode, er führte zwei Leben,
Er hätte zwei Männer können sein;
Der eine sprach Worte, die er nur gelesen
Der andre hat sie so nicht gemeint.
Und so kämpfte und stritt er von früh bis spat
Und hörte nie auf zu streiten.
Stets auf der Suche nach dem rechten Pfad
Auch wenn er ein Rabenaas könnt‘ sein.
Nur auf eine Wahrheit wollte er schwören
Als verlassen ihn Wissenschaft und Gott,
Und er ließ sich seinen Glauben nicht nehmen
Daß die besten Männer sind tot.
Doch ihre Worte bleiben, damit wir dem Schmerz entfliehn
Und er jubelte mit uns, ich möcht‘s beschwören
Denn obwohl er gegangen können wir fürderhin
Den Klang seiner Stimme hören.«
    Während Mr. Dodd weiter den Dudelsack bearbeitete, sprang Lockhart vom Tisch hinab und verließ den Wehrturm. Die im Turm gebliebenen Mr. Bullstrode und Dr. Magrew sahen sich verwundert an, und diesmal vergaß auch die von Lockharts Tränen zu weiblicher Sorge getriebene Jessica ihre sentimentale Ader und stand trockenen Auges da. Gerade wollte sie Lockhart folgen, als Mr. Dodd sie zurückhielt.
»Laß ihn allein, min Deern«, sagte er. »So seltsam es klingt, er muß noch ein Weilchen sein Schicksal beklagen.«
Mr. Dodd hatte nur teilweise recht. Lockhart beklagte sein Schicksal keineswegs, aber was nun folgte, war in der Tat seltsam. Als die Sonne über Tombstone Law aufging, ertönten auf der Hochebene wieder tausend Lautsprecher. Diesmal verbreiteten sie nicht Granaten- und Gewehrgeräusche, sondern die mächtige Stimme von Edwin Tyndale Flawse. Er sang die »Ballade ohne Schwanz«.
     

Kapitel 22
     
    Als die gewaltig verstärkte Stimme verhallte und die taub gewordenen Vögel in den Kieferwäldern um den Stausee auf ihre Zweige zurückgeflattert waren, wo sie versuchten, ihren Morgengesang wieder aufzunehmen, standen Lockhart und Jessica auf dem Dach des Wehrturms und blickten über die Zinnen auf das Land hin, das nun wahrhaftig ihnen gehörte. Lockharts Tränen waren getrocknet. Sie hatten ohnehin weniger der Einäscherung seines Großvaters, als dem Verlust jener schrecklichen Unschuld gegolten, der intellektuellen
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