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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande
Autoren: Tom Sharpe
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entließ den Mann mit einem Wink seiner fleckigen Hand.
Mrs. Sandicott registrierte alle diese Verhaltensweisen und kam zu dem Schluß, Mr. Flawse sei genau der Mann, auf den sie gewartet hatte, ein neunzigjähriger Großgrundbesitzer mit einem mächtigen Bankkonto und Appetit auf genau die Speisen, die sich am besten eigneten, ihm im Nu den Garaus zu machen. Daher war die Dankbarkeit nicht gespielt, mit der sie nach dem Frühstück seine Einladung zu einem Deckspaziergang annahm. Mr. Flawse schickte Lockhart und Jessica zu einem gemeinsamen Wurfringspiel fort, und gleich darauf drehten er und Mrs. Sandicott in einem für letztere atemberaubenden Tempo ihre Runden über das Promenadendeck. Als sie die üblichen dreieinhalb Kilometer des Alten zurückgelegt hatten, verschlug es Mrs. Sandicott aus anderen Gründen den Atem. Mr. Flawse war nicht der Mann, der ein Blatt vor den Mund nahm.
»Um alle Unklarheiten zu beseitigen«, sagte er überflüssigerweise, als sie auf den Liegestühlen Platz nahmen, »ich neige nicht dazu, mit meinen Gedanken hinter dem Berg zu halten. Sie haben eine Tochter im heiratsfähigen Alter und ich einen Enkel, der unter die Haube gehört. Stimmt‘s oder habe ich recht?«
Mrs. Sandicott rückte die Decke auf ihrem Schoß zurecht und sagte einigermaßen geziert, da sei wohl etwas Wahres dran.
»Mit Sicherheit habe ich recht, mit Sicherheit«, sagte Mr. Flawse. »Ich weiß es, und Sie wissen es auch. Tatsächlich wissen wir es beide. Nun, ich bin ein alter Mann und rechne in meinem Alter nicht mit einer so langen Zukunft, daß ich den Tag erlebe, an dem mein Enkel standesgemäß heiratet. Kurzum, Ma‘am, wie der große Milton es formulierte: ‹In mir ist kein Aufschub.¤ Verstehen Sie, was ich meine?«
Mrs. Sandicott verstand, was sie jedoch leugnete. »Für Ihr Alter sind Sie in bemerkenswert guter Form, Mr. Flawse«, stellte sie aufmunternd fest.
»Kann schon sein, aber fest steht, daß die große Gewißheit kommt«, sagte Mr. Flawse, »und ebenso fest steht, daß mein Enkel ein Trottel ist, der bald, als mein einziger Erbe, ein reicher Trottel sein wird.« Er gestattete Mrs. Sandicott, diese Aussicht für eine Weile auszukosten. »Und als Trottel braucht er eine Frau, die nicht auf den Kopf gefallen ist.«
Er machte noch eine Pause, und Mrs. Sandicott verkniff sich die Bemerkung, wenn Jessica schon nicht auf den Kopf gefallen sei, dann doch zumindest mit dem Kopf gegen eine Wand gelaufen.
»Damit könnten Sie recht haben«, sagte sie.
»Das kann ich und das habe ich«, fuhr Mr. Flawse fort. »Seit eh und je war es bei den Flawses Brauch, Ma‘am, uns die Mütter näher anzusehen, wenn wir unsere Frauen auswählten, und ich bekenne ganz offen, daß Sie in geschäftlichen Dingen einiges auf dem Kasten haben, Mrs. Sandicott, Ma‘am.«
»Das ist aber wirklich zu nett von Ihnen, Mr. Flawse«, flötete Mrs. Sandicott, »seit dem Tod meines armen Gatten mußte ich nämlich die Brötchen verdienen. Sandicott & Partner sind konzessionierte Buchprüfer, und mir obliegt die Geschäftsführung.«
»Eben«, sagte Mr. Flawse. »Ich habe einen Riecher für solche Dinge, und zu wissen, daß mein Enkel in guten Händen ist, wäre mir ein Trost.« Er brach ab. Mrs. Sandicott harrte erwartungsvoll.
»Und an welche Hände dachten Sie dabei, Mr. Flawse?« fragte sie endlich, aber Mr. Flawse hatte beschlossen, es sei an der Zeit, so zu tun, als sei er eingeschlafen. Die Nase über der Decke, die Augen geschlossen, schnarchte er leise. Er hatte den Köder ausgelegt. Es war sinnlos, die Falle zu bewachen, und
alsbald stahl Mrs. Sandicott sich leise und mit gemischten Gefühlen davon. Einerseits hatte sie diese Kreuzfahrt nicht angetreten, um einen Ehemann für ihre Tochter zu finden, sondern um einen loszuwerden. Andererseits war Mr. Flawse, wenn man seinen Worten glauben konnte, auf der Suche nach einer Frau für seinen Enkel. Einen unwirklichen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, Lockhart für sich zu reklamieren, verwarf ihn aber sofort wieder. Jessica oder keine hieß die Devise, und der Verlust Jessicas bedeutete den Verlust der Mieteinnahmen aus den zwölf Häusern am Sandicott Crescent. Hätte der alte Narr ihr einen Antrag gemacht, sähe die Sache schon anders aus.
»Zwei Fliegen mit einer Klappe«, murmelte sie vor sich hin, als sie an den doppelten Streich dachte. Die Sache war es wert, sorgfältig geplant zu werden. Und so machte Mrs. Sandicott es sich in einer Ecke des Erste-Klasse-Salons
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