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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande
Autoren: Tom Sharpe
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bequem und stellte Überlegungen an, während die beiden Frischverliebten über das Sonnendeck tollten. Durch das Fenster konnte sie Mr. Flawses deckenumhüllte, in dem Liegestuhl ruhende Gestalt im Auge behalten. Gelegentlich zuckten seine alternden Knie. Mr. Flawse hatte sich den sexuellen Exzessen seiner Phantasie hingegeben, die sein nonkonformistisches Gewissen heimsuchten, und in denen zum ersten Mal Mrs. Sandicott eine Hauptrolle spielte.
     

Kapitel 3
     
    Auch in der zwischen Lockhart und Jessica aufblühenden Liebe spielte die Phantasie eine große Rolle. Nach dem Sprung ins Wasser tollten sie wie Kleinkinder im Planschbecken oder vergnügten sich beim Decktennis, und als die Tage vergingen und das Schiff langsam gen Süden in äquatoriale Gewässer dampfte, wuchs ihre Leidenschaft sprachlos an. Zwar nicht gänzlich sprachlos, aber tagsüber unterhielten sie sich in nüchternen Worten. Erst abends, wenn die ältere Generation zu den Tönen der Schiffsband den Quickstep tanzte und sie allein auf die vom Schiff aufgewirbelte Gischt schauten und einander die Eigenschaften widmeten, die ihre jeweilige Erziehung betont hatte, ließen sie ihre Herzen sprechen. Doch auch dann offenbarten sie ihre Gefühle füreinander nur über den Umweg anderer Menschen und anderer Orte. Lockhart erzählte von Mr. Dodd, wie er und der Wildhüter abends auf der Ruhebank in der mit Steinplatten ausgelegten Küche saßen und der schwarze eiserne Herd zwischen ihnen glühte, während draußen der Wind im Schornstein heulte und drinnen Mr. Dodds Dudelsack jammerte. Und wie er und Mr. Dodd die Schafe hüteten oder sich in dem Slimeburn genannten bewaldeten Tal, wo Mr. Dodd in einem bereits 1805 erschlossenen Stollen Kohle förderte, an das Wild heranpirschten. Schließlich waren da noch die Angelzüge auf dem großen, von Fichten umgebenen Stausee, anderthalb Kilometer vom Herrenhaus entfernt. Jessica sah alles deutlich vor sich, und zwar durch einen Nebel aus Mazo de la Roche, Brontë sowie aller anderen Liebesromane, die sie je gelesen hatte. Lockhart war der junge Kavalier, der ihr Herz im Sturm erobern und sie der Langeweile ihres Lebens in East Pursley und dem Zynismus ihrer Mutter entreißen und sie in das Wunderland des auf der Flawse-Hochebene unterhalb der Flawse-Hügel gelegenen Flawseschen Herrenhauses entführen würde, wo der Wind toste und draußen hoch der Schnee lag, aber im Haus alles warm war vor lauter altem Holz, Hunden und dem Säuseln von Mr. Dodds northumbrischen Dudelsack, und der alte Mr. Flawse an dem ovalen Mahagonitisch saß und bei Kerzenschein tiefschürfende Gespräche mit seinen beiden Freunden Dr. Magrew und Mr. Bullstrode führte. Mit dem aus Lockharts Worten gewobenen Teppich schuf sie sich ein Bild der Vergangenheit, das sie unbedingt zu ihrer Zukunft machen wollte.
Lockharts Verstand arbeitete praktischer. Für ihn war Jessica ein strahlend schöner Engel, dem er, wenn schon nicht sein eigenes, so doch das Leben jedes anderen Wesens zu Füßen legen wollte, das sich in Reichweite seiner mächtigsten Flinte bewegte.
Während die jungen Leute nur stillschweigend verliebt waren, taten sich die alten weniger Zwang an. Nachdem er den Köder für eine neue Haushälterin ausgelegt hatte, wartete Mr. Flawse auf die Reaktion. Sie kam später als erwartet. Mrs. Sandicott ließ sich Zeit, sie hatte sich alles sorgfältig überlegt. Wenn Mr. Flawse Jessica zur Schwiegerenkelin wollte, mußte er ihre Mutter zur Frau nehmen. Sie schnitt das Thema mit gebührender Delikatesse an, nämlich über den Umweg einer Immobilienangelegenheit.
»Falls Jessica heiraten würde«, sagte sie eines Abends beim Dinner, »stände ich ohne ein Zuhause da.«
Mr. Flawse zeigte seine Begeisterung über diese Neuigkeit, indem er noch einen Brandy orderte. »Wie das, Ma‘am?« erkundigte er sich.
»Weil mein armer seliger Mann alle zwölf Häuser am Sandicott Crescent, einschließlich unseres eigenen, unserer Tochter hinterlassen hat, und ich niemals mit dem frischvermählten Paar zusammenwohnen würde.«
Das konnte Mr. Flawse ihr nachfühlen. Er hatte lange genug mit Lockhart zusammengelebt, um zu wissen, welche Gefahren es mit sich brachte, ein Haus mit diesem Ungeheuer zu teilen. »Da wäre ja immer noch Flawse Hall, Ma‘am. Dort wären Sie höchst willkommen.«
»Als was? Als kurzfristiger Gast, oder dachten Sie an ein dauerhafteres Arrangement?«
Mr. Flawse zögerte. Etwas in Mrs. Sandicotts Stimme verriet ihm, daß ihr das ihm
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