Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falsches Spiel

Falsches Spiel

Titel: Falsches Spiel
Autoren: Mariano Hamilton
Vom Netzwerk:
Nacht um zwei in San Antonio de Padua, und ich habe kein Geld für den Sprit. Kannst du mir noch mal was pumpen? Ich schwöre dir, morgen zahle ich meine Schulden zurück«, fügte ich schnell hinzu.
    »Ach, hör auf. Mach bloß keine Versprechungen, die du nicht halten kannst.«
    »Das ist mein voller Ernst. Vor einer Stunde bekam ich den Anruf. Deshalb bin ich auch hier: Hast du vielleicht irgendeinen Schimmer, was da in letzter Zeit passiert ist? Ich weiß nicht, warum, aber irgendwas klingelt da bei mir.«
    Espiño hob seine buschigen Augenbrauen und starrte ins Leere. Diesen Gesichtsausdruck kannte ich seit wir damals Artikel für die Verbrechenssparte der Crónica schrieben. Er dachte nach und fuhr sich mit der Hand durch das grau melierte Haar. Dann schien er plötzlich hellwach.
    »Vor etwa zwei Monaten ist da doch ein zwanzigjähriges Mädchen verschwunden. Erinnerst du dich nicht mehr? Ich habe dir davon erzählt. Ihre Eltern dachten erst, sie wäre entführt worden. Die Geschichte machte Schlagzeilen, in den Zeitungen erschienen Anzeigen mit der Bitte um Hinweise. Zwei Wochen lang hat sich die Presse auf den Fall gestürzt, aber als es nicht mehr Neues gab, wanderte er auf die hinteren Seiten ab. Und seit ein paar Wochen bringen sie gar nichts mehr darüber.«
    »Ich erinnere mich nicht mehr, aber ich verlasse mich auf dein Gedächtnis. Hast du ein paar Zeitungsausschnitte von dem Fall?«, fragte ich, während ich mit einem Stück Brot den Teller blank putzte und mir noch einen Schluck genehmigte.
    »Klar. Du weißt doch, dass in meinem Archiv kein ungelöster Fall fehlt. Setz dich an den Tisch da drüben und behalt das Lokal im Auge, ich seh mal nach, was ich finde.«
    Espiño räumte den Teller ab und verschwand durch die Seitentür. Ich marschierte hinter den Tresen, schnappte mir den Cinzano, den Fernet und das Sodawasser und trug alles zu einem der Tische. Dann zündete ich mir eine Zigarette an und streckte die Beine aus. Espiño hatte sich 1964 von seinem Posten als Chefredakteur der Kriminalberichterstattung zurückgezogen, doch auch als Rentner war er immer noch mit Leib und Seele Journalist und Ermittler. Er besaß einen besonderen Spürsinn für interessante Fälle und führte seit zwei Jahrzehnten ein Geheimarchiv im Keller. Niemand durfte diesen Ort betreten; er war sein Heiligtum.
    Wenige Minuten später kam er mit einem braunen Umschlag an und warf ihn auf den Tisch.
    »Da, nimm. Schau’s dir an so lange wie nötig und gib’s mir dann zurück!«
    Ich erwiderte nichts; ich kannte die Regeln: Nichts aus dem Archiv des Spaniers verließ das Haus.
    Ich zog die Zeitungsausschnitte heraus. Viele waren es nicht, keine zehn Stück. Crónica titelte: »Studentin auf mysteriöse Weise verschwunden«. Bei Clarín hieß es: »Polizei sucht vermisste Studentin.« In den ersten Tagen hielt man sich noch an die offizielle Version, die die Eltern des Mädchens, der Chirurg Juan Carlos Forrester und seine Frau Sandra, papageienartig wiederholten: Carla Forrester, zwanzig Jahre alt und Kunststudentin, hatte sich eines Morgens auf den Weg zur Universität gemacht und war nie mehr wiedergekommen. Anfangs dachten sie, sie sei entführt worden, aber als keine Lösegeldforderung kam, mutmaßten sie, ihre Tochter könnte aus irgendeinem Grund abgehauen sein. Von einem festen Freund war nichts bekannt, und soweit die Eltern wussten, hatte Carla auch keine Bettgeschichten. Auch ihre Freundinnen und Freunde hatten der Presse bestätigt, wie ruhig und liebenswert Carla von Charakter war. Ein rührendes Familienporträt. Doch nach einer Woche hatten die Journalisten begonnen Nachforschungen zu betreiben und eigene Hypothesen über Carlas Verschwinden aufzustellen: Das Mädchen habe sich schlecht mit dem Vater verstanden, ihre Mutter sei Alkoholikerin, Carla habe mit zahlreichen Kommilitonen Sex gehabt, habe einen Freund, der sie geschlagen habe, sei Mitglied einer merkwürdigen Sekte – angeführt von einer gewissen Jennifer Carter –, die sich auf die Ankunft von Außerirdischen vorbereite. Am Abend vor ihrem Verschwinden habe sie mehrere Stunden bei Señora Carter verbracht, um mit ihr über Marsmenschen und ähnlichen Blödsinn zu sprechen. Carla, dieses Schneewittchen ohne die sieben Zwerge, verwandelte sich mit einem Schlag in die jüngere der Sternwood-Schwestern aus dem Film Der große Schlaf .
    Ich nahm mein Notizbuch und schrieb in Stichworten alle Einzelheiten auf, die mir irgendwie nützlich erschienen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher