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Falsche Väter - Kriminalroman

Falsche Väter - Kriminalroman

Titel: Falsche Väter - Kriminalroman
Autoren: Hermann-Josef Schüren
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Lügenzunge aus dem Hals geschnitten.«
    Schelling riss sich das T-Shirt vom Leib und warf es hinter sich.
Sein Inneres tobte, löste sich auf und produzierte dabei unaufhörlich Töne,
Laute, Worte, Satzfetzen.
    »Und jetzt … Nur noch ich … Ich … Ich … nicht mehr lange … keine
Angst … der Tod ist nicht böse … kein Schrecken … der große Bruder des Lebens …
wie furchtbar, wenn man ewig leben müsste …«
    Er stockte. Es sah aus, als müsste er sich übergeben. Etwas
schüttelte ihn, als er das Messer nahm. Er konnte es kaum noch halten, so sehr
flatterten seine Hände. Er schaute erst Sonja, dann Anna an. Dann setzte er
sich wieder in dieser eigentümlichen Art auf den Boden. Er streckte den
Oberkörper und stach zu. Die Klinge glitt in seinen Bauch, doch er fiel nicht
um. Seine Hand umklammerte die Waffe. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. In
wenigen Minuten hatte er die unumkehrbare, blinde Pointe seiner
Lebensgeschichte erreicht.
    Und genau in diesem Auenblick wurde ihm klar, wie sinnlos alles
gewesen war, wie fehlerhaft und kindisch. Alles war ein Fehler gewesen, von
Anfang an. Denn es ließ sich nichts wiedergutmachen, was einmal schlecht
gewesen war.
    Es gab keine Wiedergutmachung!
    Ein Junge war gestorben, und niemand konnte ihn wieder lebendig
machen. Ihm waren drei weitere Menschen in den Tod gefolgt. Aber ihr Tod
änderte nichts an der Tatsache, dass der Junge den Unfall nicht überlebt hatte.
Und nun, jetzt gleich, würde auch er, Thomas Schelling, aufhören zu existieren.
Und nicht einmal sein Tod konnte irgendetwas gutmachen.
    »Das Leben … ein großer Fehler …«, flüsterte er, riss das Messer mit
einem Ruck nach oben und fiel nach vorn, wie es das Ritual vorschrieb. Als sein
Kopf den Boden berührte, hatte er bereits die Besinnung verloren. Die Dielen
färbten sich rot. Er stöhnte, und erst jetzt vermochte sein Bewusstsein den
Schmerzen keinen Widerstand mehr zu leisten. Sein Körper krümmte sich zuckend
zusammen.
    Als sich Sonjas Fesseln so weit gelockert hatten, dass sie sich
befreien konnte, war Schelling tot.
    * * *
    Van de Loo gab ein letztes Mal Gas und donnerte durch den Hohlweg.
Mir quietschenden Bremsen brachte er den Volvo neben der Hütte zum Stehen. Als
er Anna und Sonja auf der Veranda sah, atmete er auf.
    »Es ist vorbei«, sagte Sonja, als van de Loo auf die Veranda trat.
»Schelling ist tot!«
    »Sind Sie sich sicher?«
    »Ja.«
    Van de Loo betrat die Hütte. Die Scherben der antiken Teeschale
knirschten unter seinen Sohlen. Ein kurzer Blick genügte. Zu seinen Füßen lag
ein Toter. Er ging auf die Veranda zurück.
    »Mir wäre es am liebsten, wenn Sie meine Tochter auf der Stelle hier
wegbringen würden. Ich bleibe und warte, bis die Polizei eintrifft«, sagte
Sonja.
    »Allein?«
    »Ja.«
    »Trauen Sie sich das wirklich zu?«
    »Ja«, sagte Sonja Lechtenberg und sah van de Loo an. »Ich habe allerhand
hinter mir, und im Augenblick traue ich mir so ziemlich alles zu.«
    »Gut«, sagte van de Loo. Er ging zum Auto und holte das Bild und den
Rahmen. »Es ist zwar zerrissen«, sagte er. »Aber ich denke, es sollte wieder da
hängen, wo es hingehört.«
    Sonja Lechtenberg nahm das Foto und sah es lange an. Sie lächelte,
als sie die Gesichter der Männer betrachtete, von denen keiner mehr am Leben
war.
    Als van de Loo wenig später mit Anna über den Waldparkplatz fuhr,
kamen ihm Mareike und Peters in ihrem Auto entgegen. Van de Loo hob kurz die
Hand und fuhr an ihnen vorbei.
    Eine Viertelstunde später gab der Volvo den Geist auf. Van de Loo
ließ den Wagen ausrollen und stellte ihn am Straßenrand ab. Das letzte Stück
ging er mit Anna zu Fuß. Sie stolperten die Landstraße entlang, bis sie zu dem
Trampelpfad kamen, der zur Niers hinunterführte. Im Hintergrund standen große
Kopfweiden. Sie streckten ihre struppigen Äste in den Himmel und leuchteten
eigentümlich.
    Van de Loo stapfte mit Anna durch ein Maisfeld, das Jäger zur
Winterfütterung des Wilds stehen gelassen hatten. Die Pflanzen waren müde vom
Sommer, und die trockenen Blätter raschelten, wenn sie berührt wurden. Am Ende
des Feldes öffnete sich der Blick. Auf der anderen Seite der Niers hatte sich
ein kleines Sumpfgebiet gebildet. Das Wasser glänzte, als sei plötzlich Schnee
gefallen.
    Tante Gertrud war tatsächlich zu der Stelle gegangen, wo sie sich
vor sechzig Jahren so oft mit Sarah Rosenboom getroffen hatte. Sie saß auf
einem Stein und kehrte ihnen den Rücken zu. Ihre Schultern
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