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Pelte, Reinhard

Pelte, Reinhard

Titel: Pelte, Reinhard
Autoren: Inselbeichte
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Der Leitende
    Jung klappte seinen Laptop zu. Das Einschnappen in den Verschluss machte das satte, elegante Geräusch, das nur eine perfekte, industrielle Fertigung hervorzubringen vermag. Der Klang gefiel ihm. Er hatte eine Aktennotiz geschrieben. Vor Kurzem war er von einer Wehrübung bei der Marine zurückgekehrt. Er hatte in Afrika erfolgreich das unerklärliche Verschwinden eines Mariners von Bord seines Schiffes aufgeklärt {1} . Dabei war er auf die Fährte zweier Männer gestoßen, die vor Jahren spurlos aus Deutschland verschwunden waren. Die Polizei vermutete damals, sie seien Opfer krimineller Gewalt geworden. Als ihre Ermittlungen ins Leere liefen, war der Fall bei Jung gelandet, dem Leiter des Dezernats für unaufgeklärte Kapitalverbrechen bei der Polizei-Inspektion Nord in Flensburg.
    Das Telefon klingelte. Jungs Telefon klingelte selten. Seine Abteilung war aus dem Fokus des aktuellen, hektischen Tagesgeschehens gerückt, und manchmal hatte er das unangenehme Gefühl, als gehöre er gar nicht mehr dazu. Verstärkt wurde sein Einzelkämpferdasein dadurch, dass außer ihm kein weiterer Kollege seiner Abteilung angehörte. Er war Führer und Geführter in Personalunion. Manchmal, wenn er darüber ins Grübeln kam, lachte er herzhaft und beglückwünschte sich dazu, wie es ihm absichtslos, aber gerade deswegen umso wirkungsvoller gelungen war, seinen Chef dazu zu bewegen, ihn in diese komfortable Lage zu versetzen. Denn was nach außen wie eine Anerkennung aussah, war nach innen nur der Ausdruck stiller Missbilligung gewesen, die sein Chef nie laut zu artikulieren gewagt hätte.
    Jung nahm den Hörer auf und meldete sich. »Jung, Polizei-Inspektion Nord.«
    »Holtgreve. Kommen Sie mal hoch, Jung. Ich hab hier was.« Sein Chef bediente sich einer sehr eigenen, unverwechselbaren Sprache.
    »Ich bin sofort bei Ihnen«, antwortete Jung.
    Er verließ sein Büro im ersten Stock und betrat das Treppenhaus. Die Polizei-Inspektion war in einem alten, herrschaftlichen Gebäude aus der Gründerzeit untergebracht. Die Straßenfront war prächtig mit Steinmetzarbeiten, hübschen Balkonen und aufwendigen Simsen dekoriert. Die Zimmer waren geräumig und hell, die hohen Decken stuckverziert, das Treppenhaus breit und hoch. Jung erklomm die Teppichetage, wo Holtgreves Bürosuite lag. Die Etage hatte ihren Namen von den Bewohnern der unteren Etagen erhalten, deren Büros ohne Teppiche auskommen mussten. Die Holzdielen waren im Laufe der Jahre arg verschlissen worden. Als Holtgreve Jungs Schritte auf dem Flur vernahm, rief er ihn zu sich herein. Seine Tür stand die meiste Zeit offen, und Jung hatte stets das Gefühl, als hocke sein Chef den ganzen Tag mit gespitzten Ohren hinter seinem Schreibtisch, um auch ja nichts zu verpassen, nicht einmal das flüchtigste Rascheln einer imaginären Maus in den Wänden des alten Gemäuers. Holtgreve las in einem Papier, das er, die Ellenbogen auf die Schreibunterlage gestützt, vor sich in den Händen hielt.
    »Setzen Sie sich«, brummte der Leitende ohne aufzusehen.
    »Guten Morgen Herr Holtgreve. Danke«, begrüßte Jung seinen Chef.
    Er setzte sich auf den Besucherstuhl, dessen Sitzfläche deutlich unter der Sitzhöhe des Chefsessels lag, und lehnte sich, die Beine übereinandergeschlagen, entspannt aber doch erwartungsvoll zurück.
    »Wehrübung gut überstanden?«, begann Holtgreve in seiner eigentümlich verstümmelten Diktion. Jung merkte seinem Chef an, dass er sich unwohl fühlte und der Rolle, die höhere Mächte ihm hier aufgezwungen hatten, lieber aus dem Weg gegangen wäre. Jung hatte er als Schuldigen für seine Kalamität ausgemacht.
    »Ja, danke der Nachfrage«, erwiderte Jung leutselig.
    »Sehen gut aus. Glückwunsch«, rang Holtgreve sich mühsam ab und sah seinem Gegenüber jetzt in die Augen.
    »Danke.« Jung wartete gespannt auf das, was kommen musste. Der Leitende hätte ihn niemals zu sich bestellt, nur um sich nach seinem Befinden zu erkundigen oder sein Aussehen zu loben.
    »Post aus Kiel. Einsatzmedaille und Beförderung.« Der Leitende klang, als könne nicht wahr sein, was er zu verkünden hatte. Für ihn war das einfach nicht zu fassen.
    »Für mich?«
    »Ja«, japste sein Chef.
    »Danke.«
    Jung behielt seine Gefühle für sich, blieb einsilbig und verharrte in seiner Hab-Acht-Haltung.
    »Einsatzmedaille. Wofür, Jung?«, rang sich der Leitende die Frage ab, die stellen zu müssen er nach eigenem Selbstverständnis nicht hätte gezwungen sein sollen, schon
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