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Falsche Väter - Kriminalroman

Falsche Väter - Kriminalroman

Titel: Falsche Väter - Kriminalroman
Autoren: Hermann-Josef Schüren
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in die Kühlerhaube rennt? Nichts! Und genauso wenig
kann ich dagegen tun, dass nicht weit von hier ein Unglück geschieht. Ich kann
nur Gas geben und sonst nichts! Diese Scheißschilder stehen bestimmt nur für
die Versicherungen da. Aber Versicherungen werden erst tätig, wenn etwas
schiefgelaufen ist. Versicherungen kommen immer zu spät.
    Erst jetzt fiel ihm ein, dass es besser war, Peters zu informieren.
Er griff zum Handy und tippte dessen Nummer ein.
    »Hören Sie!«, sagte er. »Thomas Schelling ist nicht verreist. Er ist
noch in der Gegend. Ich glaube, er ist zur Hütte gefahren, um sein Werk zu
vollenden.«
    Er drückte die Taste, warf das Handy auf den Beifahrersitz und
konzentrierte sich wieder auf die Straße. Er dachte an Anna. Er dachte an
Sonja. Er dachte an Thomas Schelling. Und dann wieder an Anna.
    Erschrocken sah er auf die Tankanzeige. Das Lämpchen flackerte. Er
fuhr auf Reserve.
    »Ich Idiot!«, schrie er. »Warum muss ich alles immer auf den letzten
Drücker machen!«
    Er überholte ein paar Autos, die mit wehenden Fahnen auf dem Weg zum
Stadion in Gelsenkirchen waren. Die königsblauen Schals flatterten aufgeregt
neben den Seitenscheiben. Im selben Augenblick wurde van de Loo vom Blitz einer
Radarfalle geblendet.
    »Vielen Dank für Ihr Verständnis!«, höhnte es vom Straßenrand.
    * * *
    »Anna«, sagte Thomas Schelling. »Ich will, dass du mich verstehst.
Das ist wichtig!«
    »Ich will das alles nicht verstehen!«, entgegnete sie trotzig. »Und
ich will nicht, dass Mama das trinkt!«
    »Deine Mutter muss das nur trinken, wenn sie gelogen und Schuld auf
sich geladen hat.«
    »Mama ist keine Lügnerin!«
    »Ich hoffe, du irrst dich nicht.« Schelling stellte die Schale
zurück auf den Tisch. »Hör mir jetzt genau zu! Du kennst doch sicher das Bild,
das dort neben der Tür hing. Der Nagel ist noch da. Und die Umrisse zeigen, wo
es hängen müsste. Das Bild ist wichtig. Ich habe es mitgenommen, als Theo tot
war. Es ist auf der Annakirmes gemacht worden, an einer Schießbude. An jenem
Abend, der mich und die anderen zu Schuldigen gemacht hat. Wir waren betrunken.
Seitdem habe ich nie wieder Alkohol angerührt.«
    Schelling trank erneut von dem Sud.
    »Theo hatte das Auto von seinem Vater für das Wochenende bekommen«,
fuhr er fort. »Und mit diesem Auto sind wir nach Düren gefahren. Wir haben
herumgealbert und uns auf ein Kinderkarussell gesetzt. Wir wollten kein Taxi
für die Rückfahrt bestellen oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Auf die
Idee sind wir gar nicht gekommen. Wir haben gelost, wer von uns fahren musste.
Ich habe verloren. Ich habe den Kürzeren gezogen. Weißt du, was das heißt? Man
nimmt vier Streichhölzer und bricht von einem das Ende ab. Dann verdeckt man
sie mit der Hand. Und wer den Kürzeren zieht, der hat verloren. Ich musste
zuerst ziehen. Und es war das Streichholz, dessen Ende abgebrochen war. Ich
hatte den Kürzeren gezogen und musste fahren. So war das damals.«
    Schelling redete immer schneller und lief dabei die ganze Zeit hin
und her.
    »Ja. So war das. Jedenfalls bin ich viele Jahre davon ausgegangen,
dass ich einfach nur Pech gehabt hatte. Aber dann hat mein Freund Johannes
Winkens sich verplappert. Am letzten Vatertag hat er erzählt, dass er mich
hereingelegt hat. Alle haben es gewusst! Sie haben über mich gelacht und sich
vor Vergnügen auf die Schenkel geklopft. Sie ahnten nicht, was sie da
anrichteten. Sie dachten, es wäre genügend Gras über die Sache gewachsen. Aber
das ist falsch. Ein Grabhügel bleibt ein Grabhügel, da kann er noch so üppig
mit Gras oder Blumen bewachsen sein.«
    Schelling griff wieder nach der Schale. Seine Hände zitterten, als
er trank. Dann ging er zur Hüttentür und schlug mit der Faust gegen das Holz,
dass es krachte.
    »So hat es geklungen. Viel schlimmer noch. Schrecklich. Ich konnte
nicht ausweichen. Noch heute höre ich dieses eklige, dumpfe Geräusch. Und ich
höre, wie einer meiner Freunde schreit: ›Weiterfahren! Fahr weiter, Mensch! Gib
Gas, verdammt noch mal!‹ Ich weiß inzwischen, wer es war, aber das spielt keine
Rolle mehr. Alle drei wollten es. Jeder wollte, dass ich weiterfuhr.
Letztendlich ist das keine Entschuldigung, aber es war so, und ich bin
weitergefahren, immer weiter. Und zwei Tage später habe ich aus der Zeitung
erfahren, dass der Junge tot war. Tot, verstehst du?«
    Schelling zitterte. Er setzte sich. Sein Oberkörper war hoch
aufgerichtet, und er drückte seine Knie auf den Boden.
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