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Falsche Väter - Kriminalroman

Falsche Väter - Kriminalroman

Titel: Falsche Väter - Kriminalroman
Autoren: Hermann-Josef Schüren
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auf den Leib des geköpften Mannes
mit der fahlen Gesichtshaut. Die bürokratische Regelung der geheimen
Kommandosache verlangte, das »Abköpfen« und Verbrennen binnen Stunden
abzuschließen. Offizier Unterhagen zeichnete befriedigt die für den Zeitablauf
vorgesehenen Sparten des Protokollbuchs ab und merkte sich vor, eine Zulage
nebst extra freiem Tag für den Henker zu beantragen. Der Mann hatte schließlich
Familie, und sie alle waren darauf angewiesen, diesen heiklen und geheimen Fall
effektiv und ohne Aufsehen zu Ende zu bringen.
    Ins Einäscherungsbuch trug man
ein, dass der überstellte Leichnam eines in Erfurt verhafteten und in Dresden
geköpften Mannes unter der laufenden Nummer 144080 um sieben Uhr fünfundvierzig
verbrannt wurde. Mit roter Tinte wurde vermerkt: »Po –Polizeiliche Zuführung«.
Am 26. Mai 1960 beurkundete das Standesamt III den »Sterbefall 127/60« mit der Todesursache Myokardinfarkt. Der vorgebliche
Herzinfarkt war genauso falsch, wie Alter, Name, Beruf und Adresse im
Protokollbuch gefälscht waren. Urne 553 verschwand in Feld IV des anonymen Gräberfeldes.
    Die Vertuschungsmaschine lief
perfekt, bis Offizier Unterhagen die repräsentative Eingangstür zur
Stasizentrale an der Erfurter Andreasstraße durchschritt, sich auswies und
umgehend in das Kasino zum Empfang ging, bei dem er für ehrenvolle Verdienste
ausgezeichnet wurde. Seine Fähigkeit, schwierige Missionen durchzuführen, wurde
besonders erwähnt. Es war verständlich, dass er viele Glückwünsche
entgegennehmen und mehrfach anstoßen musste. Als Offizier Unterhagen bemerkte,
dass der Alkohol seine Zunge gelöst hatte und er in den wichtigtuerischen
Flüsterton der Kennerschaft abdriftete, war es schon zu spät. Da hatte er schon
erzählt, dass »Genosse Staatsanwalt Kuhrke« vor dem 1. Strafsenat des
Bezirksgerichts Erfurt einen Mann, einen Kollegen »wegen Verbrechens gegen
Artikel 6 der Verfassung der DDR «
angeklagt hatte. Der Vorwurf »Spionage, Staatsverbrechen, Fluchthilfe« sei so
allgemein gehalten gewesen, dass das gewünschte Urteil – beifälliges,
gedrücktes Lachen aus der kleinen Zuhörerschaft pflichtete bei – am Ende
herauskommen würde.
    Offizier Unterhagen spürte mit
der antrainierten Vorsichtigkeit des Staatssicherheitsbeamten, dass er
einhalten musste, doch die spontane Aufmerksamkeit der tuschelnden Kollegen
spornte ihn an. Der Verurteilte, der fünfundvierzig Jahre alt gewesen sei, habe
gezittert, gefleht, geweint, als ihm der Anstaltsleiter bekannt gemacht habe,
dass der Vorsitzende des Staatsrats, Walter Ulbricht, sein Gnadengesuch
abgelehnt habe, und die Vollstreckung des Todesurteils für den nächsten Morgen
verkündete.
    »Als er keine Tränen mehr hatte,
saß er verbiestert da. Widerspenstig hat er unsere Frage nach letzten Wünschen
abgewehrt. Das würde alles rauskommen, was gegen ihn konstruiert worden sei,
hat er geschrien. Bis er zurück in die Zelle gebracht wurde zu seiner letzten
Nacht«, sagte der Offizier in gewichtigem Tonfall. »Er döste dann irgendwann
ein, zwischendurch schreckte er hoch, flüsterte und schrie einen Namen,
offenbar eine Frau, an die er dachte, Li, Lilli oder so ähnlich. Da war etwas,
was ihn bis zuletzt nicht losgelassen hat.«
    Offizier Unterhagen hielt ein,
als sei ihm plötzlich bewusst, ein Geheimnis ausgesprochen zu haben, das ihn
selbst gefährdete und das er nie hatte verraten wollen. Er bremste seinen
Rededrang, und kein Wort über die wahren Hintergründe dieses unseligen
Todesfalls kam über seine Lippen. Nie, nie sollten die Verstrickungen
aufgedeckt werden können.
    »Na ja, dann gab es passende
Aktenvermerke, der kam in die Urne, und jetzt wächst wortwörtlich Gras über die
Sache«, gab er dröhnend zum Besten, und die Runde reagierte mir schallendem
Gelächter auf dies Ablenkungsmanöver.
    Offizier Unterhagen konnte nicht
ahnen, dass das ordnungsgemäß gewachsene Gras Jahrzehnte später nach der Wende
von 1989 verdorrte und die Grasnarbe über zwanzig Jahre danach aufbrach.

EINS
4. Mai 2010
    Hauptkommissarin Karin
Krafft blinzelte verschlafen in die Morgensonne und rieb sich die Nase.
Bleierne Müdigkeit hielt ihren Körper zwischen dem warmen Bettzeug, ein
leichter Windhauch bewegte die Gardine vor dem geöffneten Fenster und zeichnete
zarte Muster an die gegenüberliegende Wand. Sie war in der Nacht ins Bett
gefallen und augenblicklich in einen komatösen Schlaf gesunken. Seit Wochen zum
ersten Mal. Die letzte Zeit hatte viel Kraft und
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