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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe
Autoren: Alexandra Kui
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blutigen Handgelenke sind von einem Notarzt versorgt worden und stecken nun in dicken Bandagen, die sie wie eine Selbstmörderin aussehen lassen, aber das ist schon okay. Sie hat sich geweigert, mit ins Krankenhaus zu kommen, um sich untersuchen zu lassen. Wegen der Schläge, die sie hat einstecken müssen, hieß es, ihr Kopf müsse ins CT. Die können sie mal. Alle können sie mal.
    Moritz sitzt am Küchentresen, den Kopf in beide Hände gestützt und wagt nicht, sie anzusehen. Hin und her gerissen zwischen Liebe und Enttäuschung, hält Noa Abstand. Er hat ihr das Leben gerettet. Aber aufgrund seines Zauderns im entscheidenden Moment ist das ihrer Schwester immer noch in Gefahr. Für einen kurzen Moment war Tom völlig wehrlos. Moritz hatte es in der Hand.
    »Warum hast du ihn nicht umgefahren?«, fragt sie zum x-ten Mal.
    Zum x-ten Mal erhält sie keine Antwort.
    Noa gibt es auf und wechselt das Thema. »Woher wusstest du überhaupt, dass ich in Gefahr bin?«
    Moritz brennt darauf, seine Geschichte zu erzählen: »Deine Freundin hat mich über Facebook kontaktiert, sobald du bei ihr raus warst. Sie hatte echt Schiss deinetwegen. Also bin ich zu euch hin und habe bei Tom geklingelt, da ich dich in der Wohnung nicht finden konnte. Bei ihm haben mich zwei Dinge stutzig gemacht.«
    »Und zwar?«
    »Zum einen war er völlig außer Atem und hatte riesige Schweißränder an den Achseln, behauptete aber, er sitze gerade am Computer an einer wichtigen Programmiersache und habe daher keine Zeit für mich. Zum anderen fand ich komisch, dass euer Kater aus seiner Wohnung geschossen kam, sobald die Tür aufging. Ich meine, was hatte der dort zu suchen? Eigentlich ist er doch total scheu, oder?«
    Noa nickt. »Also hat Pancake mich gerettet. Nicht du.«
    »Wenn du es so sehen willst.«
    Schnurrend gibt Pancake sich Noas Streicheleinheiten hin. Offenbar hat auch er ziemliche Ängste ausgestanden, sonst wäre er nicht so anhänglich.
    »Und wie hast du mich schlussendlich gefunden?«, fragt sie weiter.
    »Handyortung. Du hast deinen Google-Account so eingestellt, dass deine Freunde dich über Latitude jederzeit finden können. Ein Albtraum für jeden Datenschützer. Hast du dir das eigentlich gut überlegt?«
    »Nein«, sagt Noa. »Aber es scheint eine äußerst nützliche Funktion zu sein. Also hatte Tom mein Handy bei sich, es aber nicht abgestellt. Gut, dass du nicht versucht hast, mich anzurufen, das hätte ihn bestimmt auf die Idee gebracht.«
    »Hab ich aber«, gesteht Moritz. »Ein paar Mal sogar.«
    »Oh. Dann steht mein Klingelton noch auf Vibrationsalarm und er hat es nicht gemerkt.« Das ist nicht weiter verwunderlich: Morgens vergisst Noa oft, vom Nacht- ins Tagprofil zu wechseln.
    »Was für ein Glück«, sagt Moritz.
    Glück – die Erwähnung dieses Wortes durchzuckt Noa wie ein Krampf. Wenn Audrey etwas zustößt, wird sie nie wieder Glück empfinden können. Ihr ganzes Leben nicht. Dann wäre sie lieber selbst gestorben.
    Moritz schwingt sich vom Tresen und kommt auf sie zu. Da Noa immer noch den Kater auf dem Arm hat, kann er sie nicht umarmen, sondern bloß ungelenk ihre Schulter tätscheln. Sein Lächeln ist tieftraurig.
    »Hey«, sagt er. »Die Polizei wird sie finden. Alles kommt wieder in Ordnung.«
    »Wir hätten losfahren sollen, um sie zu suchen. Komm, lass uns losfahren.«
    »Okay. Aber wohin?«
    Als Noa keine Antwort gibt, redet er weiter auf sie ein: »Der Kommissar, dem du deine Geschichte erzählt hast, dieser Straub, der machte doch einen ganz vernünftigen Eindruck. Findest du nicht?«
    Noa zuckt mit den Schultern.
    »Und der hat zu mir gesagt, wenn er sich einbildet, dass er und Audrey zusammengehören, wird er ihr vermutlich nichts tun, solange sie nichts unternimmt, was ihn reizt.«
    Unweigerlich muss Noa an Audreys Wutausbrüche denken. »Und wenn sie etwas unternimmt?«
    Moritz lässt die Hand sinken. An der Wand neben der Dunstabzugshaube aus Edelstahl tickt die Küchenuhr.
    »Wir können nur warten«, sagt Moritz
    Noa antwortet nicht. Pancake springt auf den Boden und postiert sich in der Küche neben der Schranktür, hinter der sich sein Futter befindet.
    Als Noa ihm etwas zu fressen gibt, flüstert Moritz ihr etwas ins Ohr: »Weil er ein Mensch ist.«
    »Was?« Noa dreht sich ruckartig zu ihm um.
    »Ich konnte den Kerl nicht umfahren, weil er ein Mensch ist. Ich kann doch nicht einfach so einen Menschen töten. Das verstehst du doch, oder?«
    Noa versteht es. Mehr noch: Sie bewundert ihn
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