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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe
Autoren: Alexandra Kui
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begangen, höchst unwahrscheinlich, dass ihn plötzlich Skrupel überfallen.
    Noa checkt die Lage. Der Wagen, in dem sie liegt, ist ein Transporter. Ein Bulli, wie ihn Surfer benutzen. Es gibt eine Miniküchenzeile und einen Tisch mit Sitzbänken, darunter kauert sie. Alles reichlich versifft. Auf allen vieren krabbelt Noa nach vorn zum Fahrersitz in der Hoffnung, den Schlüssel in der Zündung vorzufinden. Einfach wegzufahren wäre die sicherste Lösung. Aber der Schlüssel steckt nicht. Ein Indiz dafür, dass Tom etwas mit ihr vorhat. Er spielt ein perfides Spiel mit ihr.
    Noa beginnt am ganzen Körper zu zittern, als ihr Verstand ihr die Regeln einflüstert: Er wartet da draußen auf sie. Sobald sie den Schutz des Wagens aufgibt, wird er sich ihr nähern. Auf einem Motorrad, das er einhändig zu lenken versteht. In der anderen Hand wird er ein Katana führen.
    Sie greift in ihre Gesäßtasche – wie erwartet hat Tom ihr das Handy abgenommen. Das Zittern wird schlimmer, sogar ihre Zähne schlagen aufeinander, als hätte sie Schüttelfrost. Wenn sie nur wüsste, wie man ein Auto kurzschließt. Der Bulli ist zu alt, um über eine Wegfahrsperre zu verfügen. Aber was nutzt diese Erkenntnis, solange sie keine Ahnung hat, was zu tun ist? Mit ihren bebenden Händen gelingt es ihr nicht mal, die Verkleidung zu entfernen, hinter der sie die entsprechenden Kabel vermutet.
    Ich brauche Hilfe, hämmert es in Noas Kopf.
    Sie presst die Hupe, hält sie minutenlang. Ihr steht der Schweiß auf der Stirn, so fest drückt sie zu, doch vergebens. Der Ton verhallt ungehört. Ringsum Industriebrache. Die Ruine einer Fabrikhalle, von der nur noch ein paar betongraue Säulen übrig geblieben sind. Auf dem rissigen Asphalt in der Nähe künden die in Pink aufgesprühten Symbole eines Vermessungstechnikers von bevorstehenden Erdarbeiten, in naher Zukunft wird etwas mit dem Gelände passieren, dann wird es hier wahrscheinlich von Bauarbeitern wimmeln, aber das nützt nichts, denn jetzt ist es der einsamste Ort der Welt.
    Einige Hundert Meter entfernt ragt ein gewaltiger Schrottberg gen Himmel. Autotrümmer, bereit zum Verschiffen. Ein Kran sorgt unentwegt für Nachschub, jedes Mal wenn er seine Krakenarme öffnet, geht ein weiteres zusammengepresstes Fahrzeugwrack mit ohrenbetäubendem Krachen und Knirschen nieder. Wie soll sie da jemand hören?
    »Hilfe«, flüstert Noa. Und, leiser noch: »Mama.« In dieser Hölle klingt es nicht mehr ganz so absurd.
    Mit quälender Langsamkeit bewegt Noa die Hand Richtung Türgriff, wobei sie sowohl den Tremor, als auch eine innere Blockade überwinden muss. Sie starrt auf den Griff, als wäre er ein Safe mit ihr unbekannter Zahlenkombination.
    »Komm jetzt«, feuert sie sich an.
    Ehrlich, was hat sie schon zu verlieren? Antwort: alles!
    Im Rückspiegel erblickt Noa die Köhlbrandbrücke, im Zwielicht des grauen Tages erklimmen die Autos mit eingeschalteten Scheinwerfern die Kuppel. Ein letzter Versuch mit der Hupe – von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das Notsignal säuft ab im Meer aus Lärm. Das Scheppern der Wracks, das Knirschen von Glas und Blech. Von fern das Brausen des Verkehrs. Selbst das kommt Noa lauter vor.
    Und wenn Tom in letzter Konsequenz doch Mitleid mit ihr hatte? Sie ruft sich seine Nettigkeit ins Gedächtnis, die Bereitschaft, ihr und Audrey jederzeit einen Gefallen zu tun.
    Plötzlich, wie ein böser Geist durch ihre Überlegungen heraufbeschworen, ist er zurück, aber zu ihrem Erstaunen steigt er nicht in den Bulli ein, er umrundet ihn bloß, einen knallgelben Gegenstand in den Händen, den er hin und her schwingt, sodass der flüssige Inhalt gegen die Wagenfenster klatscht und der Blick durch die Windschutzscheibe verschwimmt. Ein Benzinkanister. Tom will sie abfackeln. Demonstrativ wie ihre Chemielehrerin beim Erläutern eines Versuchaufbaus entzündet er das Feuerzeug, öffnet anschließend sogar die Fahrertür für sie. Ohne nachzudenken, rettet Noa sich mit einem beherzten Sprung ins Freie, wo sie umknickt und sofort wieder zu Boden rauscht, benommen vor Schwindel und Schwäche. Neben ihr geht der Bulli in Flammen auf. Noa schreit.
    Aus dem Augenwinkel sieht sie Tom, der sich mit schnellen Schritten entfernt. Weil sie spürt, wie das Feuer sie beinahe versengt, rappelt Noa sich auf, schwankt und läuft mit butterweichen Knien in die entgegengesetzte Richtung. Wie in einem Albtraum hat sie das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen.
    Das Unvermeidliche geschieht: Ein
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