Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faktotum

Faktotum

Titel: Faktotum
Autoren: Charles Bukowski
Vom Netzwerk:
nicht besser wäre, wenn ich mir eine Knarre kaufte und es rasch hinter mich brachte – ohne viel Nachdenken und Reden. Ich mußte nur den Mut dazu aufbringen. Mein Mut machte mir Sorgen. Ich trank die Flasche aus und legte mich schlafen. Gegen 4 Uhr nachmittags wurde ich durch ein Klopfen an der Tür geweckt. Es war ein Telegrammbote von der Western Union. Ich machte das Telegramm auf:
MR. H. CHINASKI. ARBEITSBEGINN
MORGEN FRÜH 8 UHR.
R. M. HEATHERCLIFF CO.
Sie machten die Auslieferung für einen Zeitschriftenverlag. Wir standen am Packtisch und verglichen die ausgeschriebenen Rechnungen mit den Bestellungen, um sicherzugehen, daß über die richtige Anzahl von Exemplaren abgerechnet wurde. Dann zeichneten wir die Rechnungen ab und machten die Pakete, die an auswärtige Besteller gingen, für den Postversand fertig; was per Lieferwagen an lokale Abnehmer gehen sollte, wurde gebündelt und an einer Seite des Raums aufgestapelt. Es war leichte Arbeit, aber sie war eintönig und ließ den Angestellten jede Menge Zeit, sich unnötige Gedanken zu machen. Sie waren ständig in Sorge, ob sie bei der Arbeit auch alles richtig machten. Es waren alles junge Männer und Frauen; einen Vorarbeiter schien es nicht zu geben. Nach einigen Stunden kam es zu einem Streit zwischen zwei von den Frauen. Es hatte irgendwas mit den Zeitschriften zu tun. Wir verpackten gerade ComicHefte, und jemand hatte einen Fehler gemacht. Der Streit wurde zunehmend hitziger, und bald lagen sich die beiden in den Haaren.
»Hört mal«, sagte ich, »diese Dinger sind es nicht wert, daß man sie liest; und schon gar nicht, daß man sich darüber in die Haare kriegt.«
»Na«, sagte eine der beiden, »bei dir wissen wir ja schon längst, daß du dir für diese Arbeit viel zu gut bist.«
»Zu gut?«
»Ja. Deine ganze Einstellung. Denkst du vielleicht, wir merken das nicht?«
Da ging mir zum erstenmal auf, daß es nicht genügte, eine Arbeit einfach nur zu tun; man mußte sich auch noch dafür interessieren und sogar mit Leidenschaft bei der Sache sein.
Ich arbeitete drei oder vier Tage; dann war Freitag, und wir bekamen unseren Lohn ausbezahlt. Wir erhielten gelbe Umschläge mit grünen Dollarscheinen und genau abgezähltem Kleingeld. Richtiges Geld, keine Schecks.
Kurz vor Feierabend kam der Fahrer des Lieferwagens herein. Da er zu früh dran war, setzte er sich auf ein Bündel Zeitschriften und rauchte eine Zigarette.
»Yeah, Harry«, sagte er zu einem der Packer, »ich hab heute ne Gehaltserhöhung gekriegt. Ich kriege jetzt zwei Dollar mehr.«
Dann war Feierabend. Ich besorgte mir auf dem Nachhauseweg eine Flasche Wein, ging auf mein Zimmer, genehmigte mir ein Glas, ging runter in den Hausflur und rief bei meiner Firma an. Es klingelte sehr lange am anderen Ende. Schließlich meldete sich Mr. Heathercliff. Er war immer noch da.
»Mr. Heathercliff?«
»Ja?«
»Hier ist Chinaski.«
»Ja, Mr. Chinaski?«
»Ich will zwei Dollar mehr.«
»Was?«
»Ganz recht. Der Fahrer hat eine Gehaltserhöhung gekriegt.«
»Aber der ist auch schon zwei Jahre bei uns.«
»Ich brauche mehr.«
»Wir zahlen Ihnen jetzt 17 Dollar die Woche, und Sie wollen 19?«
»Stimmt. Kriege ich sie oder nicht?«
»Das können wir uns unmöglich leisten.«
»Dann kündige ich.« Ich legte auf.
Am Montag war ich verkatert. Ich schabte mir die Stoppeln aus dem Gesicht und stellte mich bei einer Zeitung vor, die eine freie Stelle ausgeschrieben hatte. Der Herausgeber, ein Mann in Hemdsärmeln, hatte tiefschwarze Ringe unter den Augen. Er sah aus, als habe er seit einer Woche nicht mehr geschlafen. Es war eine der beiden Lokalzeitungen, die kleinere von den beiden. Er zeigte mir den Raum, in dem ich arbeiten sollte. Es war kühl und dunkel da drin. Wir waren in der Setzerei. Männer saßen im Schein von Leselampen an Tischen und setzten Texte.
»Zwölf Dollar die Woche«, sagte er.
»All right«, sagte ich, »ich nehme den Job.«
Ich wurde einem kleinen dicken Mann zugeteilt, der einen ungesunden Schmerbauch hatte. Er trug eine Weste mit einer altmodischen Taschenuhr an einer goldenen Kette, hatte eine grüne Schirmblende über den Augen, dicke Lippen und einen düsteren Ausdruck in seinem fleischigen Gesicht. Die Falten in seinem Gesicht hatten weder Inhalt noch Charakter; sein Gesicht wirkte, als sei es mehrmals zusammengeknüllt und dann wieder glattgebügelt worden, wie ein Stück Karton. Er hatte klobige Schuhe an den Füßen und Kautabak zwischen den Zähnen. Den Saft zischte er in einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher