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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Autoren: Niklas Maak
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den Pfützen und in den Furchen des Feldwegs gefrieren ließ.
    Er war zeitig aufgestanden. Er hatte, wie jeden Morgen, einen Kaffee gekocht und das Radio angeschaltet und war dann mit einer Schachtel Ernte 23 auf die Terrasse getreten. Am Südrand des Hochs über Skandinavien floss Kaltluft nach Deutschland. Die Tageshöchsttemperaturen lagen um den Gefrierpunkt. Bei der Mission Apollo 17 hatten sie,hieß es im Radio, am Mondkrater Shorty orangefarbene Kügelchen aus einem glasähnlichen Material gefunden.
    Hinten am Waldrand hing der Reif in den Bäumen, die Luft war klar und kalt und brannte ihm im Gesicht. Die Terrasse war vereist, und das, was von den Büschen, die im Sommer in hellen Rosafarben blühten, übriggeblieben war, stand schockgefroren an der Auffahrt. Er zündete sich eine Zigarette an; seine Finger waren klamm von der Kälte.
    Der Mercedes stand vor dem Haus. Er hatte sich den Wagen im vergangenen Winter gekauft, nachdem er neun Jahre lang einen Ford gefahren hatte. Er wusste nicht genau, ob es wirklich an dem Ford lag, dass es ihm nicht gutging, dass er schlecht schlief und unkonzentriert war, es konnte auch sein, dass es an dem vielen Kaffee lag, den er trank, oder an der Arbeit oder am Zustand seines Hauses, eines Bungalows, dessen Farbe langsam abblätterte und der dringend renoviert werden musste. Ingrid, seine Frau, kam in letzter Zeit immer sehr spät nach Hause und verbrachte die Wochenenden mit irgendwelchen Freundinnen von früher bei anderen Freundinnen von früher in anderen Städten, aber er hatte sich dafür entschieden, dass sein Unwohlsein, das ihn vor allem am Abend überkam, wenn die Sonne hinter der Hecke des Gartens versank und alles für zwanzig Minuten in ein fahles, schließlich verlöschendes Licht tauchte, daher rührte, dass er keinen Mercedes fuhr, obwohl er schon immer einen haben wollte und sich auch längst einen leisten konnte.
    Also hatte er, Hans Joachim Bellmann, damals knapp vierzig Jahre alt, Arzt, 1971 einen Mercedes 350 SL bestellt, alpinweiß, mit dunkelblauen Ledersitzen, und dieser Wagen stand jetzt, an diesem Wintertag des Jahres 1972, vor seinem Haus, vor dem Schlafzimmerfenster.
    Die Gardinen des Schlafzimmers waren nie zugezogen, und als er an diesem Morgen ums Haus ging, sah er, dass seine Frau noch schlief. Ihr Haar, das sie am Tag zu einer Pyramide aufsteckte, floss über das Kopfkissen und ihren rechten Arm. Sie war nicht wirklich blond; sie färbte ihr Haar, ihr Haaransatz war dunkel und hatte einen grauen Schimmer.
     
    An der Decke des Schlafzimmers hatte sich ein gelber Fleck gebildet, ein Wassereinbruch. Die vergangenen Winter hatten dem Haus zugesetzt; die Stahlprofile der Pergola begannen zu rosten, das Dach würde er neu teeren lassen müssen.
     
    Der Wagen passte nicht in die Gegend. Die Nachbarn fuhren Volkswagen oder mittelgroße Limousinen von Opel, einer hatte auch einen Mercedes, aber das kleine Modell, einen mattgrünen 220er, ein sozialverträgliches Auto, das allenfalls schüchternen Reichtum andeutete (ein paar Mark mehr als der Nachbar verdiene ich, teilte dieses Auto mit, aber auch ich gehe ins Freibad, stelle mich an der Kasse hinten an, finde die Erhöhung der Heizölpreise unverschämt und tanke vor den Feiertagen, wenn das Benzin ein paar Pfennige günstiger ist).
    Sein Wagen war anders. Er war eine Provokation, eine chromglänzende Demütigung der sechs hinter ihm geparkten Kleinwagen, die zusammen nicht so viel kosteten wie dieses Auto. Der große Mercedes mit seinen Nebelscheinwerfern, dem mächtigen, verchromten Bug, dem gigantischen, wie die Mündung einer Waffe in den Kühler eingelassenen Stern, mit den rotglühenden Rückleuchten, dem außerirdischen Donnern seines Achtzylinders, stammte aus einer anderen Welt. Der Wagen ignorierte alles, was den Nachbarn wichtig war: Für eine Familie war in dem Zweisitzer kein Platz, und wo die anderen Autos ein festes Dach über dem Kopf hatten, war hier nur ein Stoffverdeck. Alles an diesem Ding deutete darauf hin, dass es gemacht war, um dem zu entkommen, worauf sie hingearbeitet hatten.
     
    Die Nachbarn sprachen ihn nicht an, wenn er ausstieg, aber er wusste, was sie redeten. Die Männer betonten, dass der Wagen unkomfortabel und im Falle eines Überschlags lebensgefährlich sei. Die Bäckersfrau schüttelte den Kopf: Was der Arzt denn jetzt so etwas nötig habe. Die Kundinnen pflichteten ihr bei, nur die Frau des Lebensmittelchemikers, der vorn an der Kreuzung in einem alten
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