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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Autoren: Niklas Maak
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hier ihre Dattelkerne hingeworfen hatten. Jetzt war die Palmeraie ein teurer Vorort, in dem meist reiche Europäer wohnten, auch der Nikki Beach Club lag hier. Der Amerikaner verbrachte dort seine Abende.
     
    In der Ferne rief der Muezzin zum Abendgebet, im Nikki Beach Club schrie der Discjockey ins Mikrofon; die Party hatte begonnen. Hinter der weißen Mauer trieben Frauen auf Luftmatratzen durchs leuchtend blaue Wasser. Auf der rechten Seite rollte ein Taxifahrer einen Gebetsteppich neben seinem Wagen aus.
    Yazid verachtete den Amerikaner und auch die marokkanischenJungen, die durch das Tor des Nikki Beach gingen. Es war bekannt, dass Europas Dekadenz in Marokko traditionell ihre konzentrierteste Form annahm: dass die Woolworth-Erbin Barbara Hutton in dem Haus in Tanger ihre Gäste auf einem goldenen Thron sitzend empfing und dass Männer dort als Frauen und Frauen als Männer verkleidet auftreten mussten; und es war bekannt, was im Nikki Beach Club passierte.
    Der Amerikaner saß bis zur Hüfte im Wasser und redete mit einem hübschen Pariser. Zwei Frauen stellten sich etwas abseits vom Eingang unter einen der weißen Baldachine und zündeten sich Zigaretten an. Eine Weile sagten sie nichts, dann strich die Größere der anderen über den Saum ihres Kleides.
    »Marc Jacobs?«, fragte sie.
    »Jasmine di Milo.«
    Die Größere lächelte. Sie zog den Kopf leicht zwischen die Schultern, wie jemand, dem kalt ist, was angesichts der Temperaturen nicht möglich war. Ihre zigarettendünnen Finger rasten über die leuchtende Tastatur ihres iPhone.
    Der Amerikaner bestellte eine Flasche Sidi-Ali-Wasser und einen Low-fat-Salad und küsste den Jungen auf die Schulter. Am Grund des Pools zitterten helle Muster. Einmal noch hörte man, wie ein seltsames Echo aus einer anderen Welt, den Ruf des Muezzins, dann wurde die Musik immer lauter.
     
    Yazids dritter Kunde kam am nächsten Tag. Er hieß Mohammed, und sein Taxi war achtundzwanzig Jahre alt. Es war eigentlich gar kein Taxi, kein offizielles jedenfalls; Mohammed transportierte illegal Leute und nahm nur den halben Preis oder noch weniger. Er kaufte die Außenspiegel des SL.
    Ein paar Tage später stand er mit seinem Wagen vor dem Hotel Oudaya und rauchte eine Fortuna, aber er wartete nicht auf Kunden. Er hatte auf der Rückbank seines Taxis ein Laptop gefunden, wusste nicht, wer es dort vergessen hatte, es musste einem seiner Fahrgäste aus der Tasche gerutscht sein. Es war flach und weiß, und als Mohammedes aufklappte, leuchtete ihm ein verwirrendes Menü entgegen, Fotos, Tabellen, Dokumente. Vielleicht, dachte Mohammed, würde sich der Fahrgast bei ihm melden, er war leicht zu finden, denn er stand immer an den gleichen Stellen, aber es meldete sich niemand. Wenn er das Laptop zur Polizeiwache brächte, dachte er, würden sie ihn fragen, wie er dazu gekommen sei, und die Wahrheit konnte er nicht sagen, denn er hatte keine Taxilizenz. Also nahm er es mit nach Hause. Er klappte es auf und verbrachte eine Nacht damit, sich die Fotos anzuschauen; er sah saftige Wiesen und Schneelandschaften, Menschen mit Skibrillen winkten, jemand hielt ein Bierglas gen Himmel.
    Mitten in der Nacht wachte er auf, weil das Laptop ein Geräusch gemacht hatte. Sein Wohnzimmer leuchtete blau, wie vom Licht eines Aquariums erhellt; das Sofa, die Kommode, all die Dinge, die dort wie immer im Dunkel standen, wirkten merkwürdig und fremd in diesem Licht. Weil er nicht schlafen konnte, schaute er noch einmal die Fotos an. Dann legte er sich auf eine Bank draußen im Hof und sah den Möwen zu, die hoch über der Stadt im Scheinwerferlicht kreisten, und für einen Moment vergaß er das blaue Fenster.
    Am nächsten Tag fuhr Mohammed zu einem Händler vor der Stadt. Störche hockten auf den Türmen der Porte d’Agnaou. Im hitzematten Himmel steckten Funkmasten und dürre Palmen. Er steuerte seinen Mercedes stadtauswärts auf die R 203, kurbelte die Seitenscheibe herunter, bekam Sand in die Augen geweht und kurbelte sie wieder hoch. Auf der Rückbank lag das Laptop; eine blaue Lampe blinkte rhythmisch; das Ding lebte noch.
    Das verlassene jüdische Dorf Tahanaoute zog vorbei, die Ruinen der Häuser starrten mit schwarzen Fenstern ins Leere. Unten floss ein Bach. Berberfrauen trugen schwere Wassereimer zu ihrem Dorf hinauf, eine rief etwas in ihr Mobiltelefon hinein; sie hatten keine Kanalisation, aber ein Funknetz.
    Auch um diese Jahreszeit lag Schnee auf dem Atlas, das Weiß der Gipfel glänzte wie
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