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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Autoren: Niklas Maak
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würde ihr Lieblingsbuch gelesen haben, ihre Lieblingsgalerie kennen, ihren Lieblingsherrenduft aufgelegt haben, er würde das Rachmaninow-Stück, dass sie so liebte, auf seinem iPod haben und Autoren zitieren, die sie mochte, und dann würde sie sich in ihn verlieben müssen. Alles andere war ausgeschlossen.
    Einen Moment lang dachte Berger daran, die geballte Analystenarmada von CoincidenceDesign in den dämlichen Vorort zu schicken, wo Solveig wohnte, ihr ganzes Scheißleben mit Hans Milbengang von oben bis unten ausspionieren zu lassen und sie dann im Triumphzug aus diesem Leben herauszureißen. Solveig plötzlich hemmungslos in ihn verliebt! Durch Coincidence Design! So etwas konnte es nur in Amerika geben, dachte er, die glauben noch daran, dass das Schicksal nur eine dumme Erfindung der Europäer ist.
    Dann sah er die Preisliste. Phase eins war mit achttausend Dollar veranschlagt, Phase zwei mit fünfundvierzigtausend, Phase drei mit fünfundzwanzigtausend Dollar. Machte zusammen achtundsiebzigtausend Dollar.
    Er wurde kurz wütend, dass Hans Milbengang, nur weil er drei Jahre älter war, Solveigs Herz achtundsiebzigtausend Dollar billiger bekommen hatte. Er war enttäuscht, aber auch wieder erleichtert, ein wenig später auf drei anderen Internetseiten zu lesen, dass Coincidence Design ein professionelles Betrugsmanöver sei, ein Scherz, eine Kunstaktion, auf die allerdings schon zahlreiche Leute hereingefallen seien. Andererseits, dachte er, auch wieder schade – so etwas wäre doch eine realistische Berufsperspektive für die ganzen arbeitslosen Stasi-Offiziere hier; erstaunlich, dass noch keiner auf die Idee gekommen war. Und wenn man einen Privatdetektiv engagierte?
     
    Hinter ihm hatte Hitler kurzzeitig einem igelartig aussehenden Herrn Platz machen müssen, der mit Grabesmiene eine Sendung namens »ZDF History« moderierte. Berger schaltete mit einem leichten Druck auf die gummiweiche Fernbedienungstaste weiter, und eine Frau über sechzig tauchte in einem flackernden Telefonnummerngewitter auf. Berger schaltete erschrocken zurück, der Igel sagte jetzt etwas Grundsätzliches zum Dritten Reich und kündigte lächelnd einen Beitrag über Göring an. Berger schaltete den Fernseher ab.
    Jetzt war er allein, nur das tiefblaue Fenster des Computers leuchtete in den Raum. Auf Interfriendship.com suchten Frauen aus Osteuropa einen Mann; von dort aus geriet er zu einer anderen Partnervermittlung in Russland. So wie man sich auf den Webseiten der Autohersteller im Konfigurator den idealen Wagen zusammenbauen konnte, indem man eine Liste von Fragen beantwortete (Diesel oder Benzin? Drei oder fünf Türen? Vier- oder Sechszylinder? Farbe? Leder?), konnte man sich hier einen Traumpartner (Alter, von bis? Größe, von bis? Gewicht, von bis? Haarfarbe? Stadt? Sternzeichen? Sprachen? Raucherin, ja, nein, egal? Kind, nur ohne, auch mit?)konfigurieren.
    Er startete die Suchmaschine. Was sollte er bei Größe eingeben? Die Größe war ihm egal. Er gab »ab 1,70 Meter« ein, dachte aber einen Moment, ob es nicht sein könnte, dass seine Traumfrau nur 1,69 Meter groß wäre und er sie wegen dieses einen, völlig nebensächlichen Zufalls nicht kennenlernen und stattdessen seine Zeit mit einer kreuzlangweiligen 1,70 Meter großen Frau vergeuden würde. Alter? Tja. Bis vierzig? Und wenn jetzt eine irrsinnig attraktive, liebevolle Frau, die schon einundvierzig … Er ließ das Kästchen offen. Haarfarbe? Egal.
    Es baute sich eine Seite mit hundertsieben Angeboten auf.
    Er sah Oksana, die den Kopf in den Nacken warf, in der Rubrik »Top-Prioritäten in der Partnerschaft« stand »Spaß, Gedankenaustausch, romantische Liebe, Erotik«. Er sah Katerina, Stier, braune Haare, erlernter Beruf »Designerin«. Wohnort Tyumen, Russland. Er gab Tyumen, Russia, bei Google Maps ein. Der Computer fauchte, als müsse er sich besonders anstrengen, dann baute sich eine Karte auf mit kleinen Seen und Straßen, die im Nichts verliefen, und Orten, die Tugulym und Vinzili hießen. Dazu erschien die Auskunft: »Wir konnten keine Route zwischen Moskau und Russland, Oblast Tjumen, Tjumen berechnen.« Tyumen lag irgendwo auf halbem Weg zwischen Moskau und Nowosibirsk. Was macht man als Designer in Tyumen, dachte Berger und klickte weiter zu Inna, hundertsechsundsiebzig Zentimeter, zweiundsechzig Kilo, Dolmetscherin in einer Stadt namens Krivoj Rog. Er hatte so viel getrunken, dass er nicht wusste, ob es das Werk seiner Phantasie war, was er da sah,
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