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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Autoren: Niklas Maak
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Rollen spielten, niemanden kannte.
    »Kommt Block noch oft?«
    »Nein. Sie haben ihn gefeuert, Stellenabbau. Ist jetzt in Hannover.«
    »Um Gottes willen. Und Tomaselli?«
    »Entzugsklinik. Hat es ein bisschen übertrieben.«
    »Isabelle?«
    »Lange nicht mehr gesehen. Funkelt irgendwo durch das Land.«
    »Und der Jo von …«
    »Böse Geschichte. Hat sich bei Garmisch totgefahren, Glatteis in einer Kurve. Hatte gerade eine neue Freundin, viel jünger als er. Sie hat’s überlebt.«
     
    Sein Telefon klingelte. Es war ein Kollege. In New York sei das Chaos ausgebrochen, »totales Chaos«, schrie er mit sich überschlagender Stimme in den Hörer, gegen alle werde ermittelt, Wertpapierbetrug, weltweit seien die Kurse der Bankaktien abgestürzt, »wir haben dreizehn Prozent verloren, Morgan Stanley sechs, die Deutsche Bank, doch, ja, auch: sieben Prozent, der Dax runter …«.
    Berger, aufgeschreckt aus der melancholischen Stille eines frühen Abends an der Bar, rief dem Kollegen zu, er solle die Ruhe bewahren, »die Ruhe«, schrie Berger in den Hörer, aber der andere hatte schon aufgelegt.
     
    Er schaute sich um. Alles sah aus wie damals, die dunkle Holztäfelung, die unleserliche Abendkarte, die mit Kreide auf eine Tafel neben dem Durchgang zur Toilette geschrieben war. In der Ecke saßen zwei, die er hier schon früher gesehen hatte, sie hatten jetzt weichere Bäuche und Haare in den Ohren und trugen breitere, buntere Krawatten aus zweilagiger Seide.
    Damals, dachte er, war noch alles offen gewesen, und es schien so, als ob vorerst nichts entschieden werden müsste. Dann hatte sich alles entschieden, ohne dass er es so richtig mitbekommen hatte. Er bestellte zuerst ein Bier, dann wurden es viele.
    Gegen halb elf war er im Hotel. Unten stand der Mercedes im Lichtkegel einer Laterne. War er noch gefahren? Unglaublich. Ein feiner Regen fiel. Er bückte sich, um seine Schnürsenkel aufzuknoten, verlor das Gleichgewicht, stürzte vom Stuhl und krachte mit dem Kopf gegen den Metallbügel der braunlackierten Minibar. Eine halbe Stunde später war die Minibar leer, er hatte alles ausgetrunken.
    Er duschte, danach roch sein ganzer Körper nach einem billigen weißen Duschgel, das er aus einem weichen Beutelchen gedrückt hatte,und seine Haare fühlten sich strohig an. Der ungewohnte Geruch auf seiner Haut machte ihn nervös.
    Er dachte kurz an Simone, an ihre prachtvolle Altbauwohnung und an das dunkelbraune Ledersofa, auf dem sie oft lagen, und geriet in eine weinerliche Stimmung. Er versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie oft er sich auf diesem Sofa über sein ereignisloses Leben aufgeregt hatte, während Simone, ohne dass etwas vorgefallen wäre, einfach aus Gewohnheit, Desinteresse oder angeborener Leere, schwieg und den Abend damit verbrachte, Gala , die Bunte und InStyle zu lesen, sich die Nägel zu lackieren, ihre Handtasche aufzuräumen, mit Freundinnen zu telefonieren oder im Internet Wellnessangebote zu durchforsten. Jetzt, wo er nicht bei ihr war, sehnte er sich nach der muffigen Geborgenheit dieser Abende.
    Er überlegte, ob er sie anrufen sollte, entschied sich aber dagegen und schaltete stattdessen den Fernseher an.
     
    Das Programm war trostlos. Entweder sah man nackte Frauen über sechzig, die unter 0190-nochwas angerufen werden wollten, und großbusige Nackte, die sich auf Tennisplätzen mit Bällen massierten, oder man sah Hitler. Die Nationalsozialisten besetzten um diese Uhrzeit im deutschen Fernsehen fast alle Kanäle. Auf ntv hatte um 22.10 Uhr »Hitler – Jugend eines Diktators« begonnen, auf Arte eine halbe Stunde später der Film »Sonderauftrag Führermuseum«, danach tauchte Hitler im ZDF auf, wo er ab 23.25 Uhr in der Sendung »History – Hindenburg, der Mann, der Hitler an die Macht brachte« auftrat, die nahtlos in die Phoenix-Dokumentation »Flucht und Vertreibung« um Mitternacht überging.
     
    Bergers Mobiltelefon meldete neun Anrufe in Abwesenheit, die meisten aus seinem Büro. Beim zehnten Anruf war er kurz versucht, das Gespräch anzunehmen, tat es auch, wollte etwas sagen, musste aber feststellen, dass er keine Vokale mehr formen konnte. Ein aufgebrachter Mensch schrie, er habe jetzt die Nummer herausbekommen; er werde auch den Rest herausbekommen; er wolle sein Geld, und zwarsofort. »Ihr sogenannter offener Immobilienfonds ist gar kein offener Fonds«, schrie der Mann, »das ist bei euch wie in der DDR – wir dürfen leider nicht ausreisen«, aber mit ihm mache man so
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